Rombuch
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werden. Allerdings ist uns knapp hundert Jahre später auch klar, dass von diesen Arbeitsphilosophien<br />
hauptsächlich der Formalismus übernommen wurde und heute in<br />
weiten Teilen dominiert. Dieses letzte Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, welche<br />
Entwicklungen zur heutigen Situation geführt haben.<br />
Zunächst muss man festhalten, dass die Beziehungen zwischen den Hauptverfechtern<br />
der jeweiligen Thesen anfänglich noch sehr kollegial und professionell waren.<br />
Hilbert und Brouwer hatten zwar unterschiedliche Ansichten, denen Brouwer 1912 in<br />
der Antrittsrede zu seiner Professur ” Intuitionismus und Formalismus“ in Amsterdam<br />
ihre Namen gab, aber sie respektierten die Arbeit des jeweils anderen. Das lag aber<br />
auch daran, dass es gar keinen Anlass dazu gab, genauer Position zu beziehen. Beide<br />
forschten in völlig unterschiedlichen Gebieten und waren nicht zur Konfrontation<br />
gezwungen.<br />
Das änderte sich durch die Arbeit eines der wichtigsten Schülers Hilberts: Hermann<br />
Weyl. Weyl war ein sehr begabter Schüler, der für das gesamte Studium, inklusive Promotion<br />
und Habilitation nur 6 Jahre benötigte, aber auch darüber hinaus interessiert<br />
war und Philosophiekurse bei Husserl besuchte. Ab 1910 war er bereits als Privatdozent<br />
in Göttingen tätig, 1913 folgte er einem Ruf an die Eidgenössische Technische<br />
Hochschule in Zürich.<br />
Weyl war damals einigen klassischen Annahmen der Analytiker gegenüber sehr<br />
skeptisch eingestellt, so zum Beispiel der aktualen Unendlichkeit der reellen Zahlen<br />
und dem daraus resultierenden Supremumsprinzip. Aus dieser Motivation heraus<br />
verfasste er 1918 ein eigenes Lehrbuch der Analysis, das mehr seinen eigenen Theorien<br />
und Philosophie entsprach. Gleichzeitig entdeckte er die Arbeiten Brouwers, für den in<br />
dieser Zeit die Frage nach Gültigkeit des Tertium non datur mehr und mehr Gewicht<br />
bekam.<br />
Daraus entsprang dann der Funken, der schließlich das Pulverfass entzünden sollte.<br />
In seinem Aufsatz ” über die neue Grundlagenkrise in der Mathematik“ von 1919<br />
schrieb Weyl von ” [der] Auflösung des Staatswesens der Analysis“ und weiter ” Brouwer,<br />
das ist die Revolution“.<br />
Von diesem Zeitpunkt an herrschte Streit zwischen Hilbert auf der einen und Brouwer<br />
und Weyl auf der anderen Seite. Brouwer war zuvor dem Konflikt ausgewichen,<br />
indem er möglichst trocken und akademisch seine Ansichten vertrat. Doch nachdem<br />
Weyl innerhalb der Brouwerschen Gedankenburg Zuflucht gesucht hatte, blieb Brouwer<br />
nichts anderes mehr übrig als seine Position deutlich zu vertreten. Hilbert auf der<br />
anderen Seite war von Weyls äußerungen schwer getroffen und enttäuscht. Ausgerechnet<br />
sein bester Schüler wandte sich gegen ihn und wollte seine Methoden für ungültig<br />
erklären.<br />
Obwohl die nächsten zehn Jahre natürlich auch für die zugrundeliegende Theorie<br />
sehr produktiv waren – nicht zuletzt entstand das Hilbertprogramm ja mehr oder<br />
minder direkt als Reaktion auf die Kritik des Intuitionismus, auf der Gegenseite bewies<br />
Brouwer nach und nach klassische Resultate der Mathematik intuitionistisch – so war<br />
doch der Tenor immer der gleiche: Es herrschte Streit. Die persönlichen Auffassungen<br />
von Hilbert und Brouwer ließen aus deskriptiver Wissenschaft eine Normative werden,<br />
und man warf sich jeweils gegenseitig den falschen Glauben und somit leeres Gerede<br />
vor.<br />
Im Jahr 1929 kam es zum abrupten Ende, als Hilbert seine große Machtkarte of-<br />
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