Rombuch
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Die verlorene Gleichung – Alfred und<br />
Wolfgang Döblin<br />
Sabine Trogus & Vanessa Seifert<br />
Alfreds Tagebucheintrag<br />
20. März 1945. Alfred Döblin (67) sitzt an seinem Schreibtisch und schreibt einen Tagebucheintrag.<br />
Wolfgang, du warst der zweite unter den Brüdern, der ernsteste, reifste, klügste<br />
und tiefste, aber auch der verschlossenste. Deine Mutter brach in Hollywood auf dem<br />
Bett zusammen, als nach dem langen Warten endlich ein Wort über dich kam. Der<br />
Brief war von deiner Studienfreundin, die uns die schreckliche Nachricht deines Todes<br />
mitteilte. Deine Mutter traf diese Nachricht wie ein Schuss mitten ins Herz. Du warst<br />
ja immer ihr Liebling, und auch du hingst eigentlich nur an ihr. Unser Verhältnis war<br />
gestört. Aber in den letzten Jahren in Paris hatte ich das Gefühl, dass wir uns langsam<br />
annähern und du mir nicht mehr wie früher aus dem Weg gehst. Ich hoffte so sehr, dass<br />
sich unser Verhältnis bessert, dass du den Krieg überleben wirst, damit zwischen uns<br />
alles gut würde. Aber jetzt ist es zu spät! Ich habe keine Chance mehr, mich mit dir zu<br />
versöhnen und dir ein guter Vater zu sein.<br />
Ich erinnere mich noch. Als du ein Kind warst, sagtest du einmal zu deiner Mutter<br />
” Papa hasst mich furchtbar!“ Das hat mich sehr verletzt. Aber das war zu einer Zeit,<br />
als unsere Beziehung sehr schwierig war. Ich war oft sehr hart gegen dich! Das tut<br />
mir heute sehr leid! Du standest immer auf der Seite deiner Mutter! Sie liebtest du<br />
abgöttisch. Mich dagegen hast du verachtet – ja, es muss als Kind auch schwierig<br />
gewesen sein, mich zu verstehen. Ich habe das Verhalten meines Vaters auch erst spät<br />
verstanden. Als Kind versteht man nicht, warum ein Mann seine Frau verlässt und<br />
anderen Frauen nachsteigt. . . Aber das Leben mit deiner Mutter war nicht immer so<br />
einfach. Wir können nicht mit, aber auch nicht ohne einander. Vielleicht hättest du mich<br />
verstanden, wenn du auch mal geheiratet hättest. . .<br />
Wir beide haben irgendwie immer aneinander vorbei gelebt. Wir hatten auch nicht<br />
viele Gemeinsamkeiten. Du warst sehr verschlossen, warst eher innerlich, redetest nicht<br />
viel, überlegtest dafür umso mehr. Du versuchtest immer deine Ideen zu verwirklichen,<br />
sagtest immer was du dachtest und stelltest dich so oft gegen meine Meinung. Schon<br />
die Gespräche über Religion und Politik arteten bei uns oft in Streit aus. Du, der sich<br />
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