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Rombuch

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Im Januar 1936 wählte ich die Theorie der Markovschen Ketten als Thema meiner<br />

Dissertation aus. Mein Doktorvater Maurice Fréchet gelangte anscheinend schnell an<br />

seine Grenzen. Dabei waren viele Probleme“ so schnell lösbar, dass ich immer Angst<br />

”<br />

hatte, ein anderer könnte sie vor mir lösen. Jeden Montag ging ich mit der Angst ins<br />

Institut, dass jemand anders eine meiner“ Lösungen bereits veröffentlicht hatte. Ich<br />

”<br />

versuchte stets, den Fortschritt meiner Arbeiten so lange geheim zu halten, bis ich<br />

sie vollendet hatte. Stundenlang saß ich jeden Tag in der Bibliothek, dort hatte ich<br />

meine Ruhe und konnte ungestört arbeiten – was daheim selten der Fall war. Ständig<br />

verursachten meine Eltern und Brüder irgendwelchen Lärm. Und dort in der Bibliothek<br />

lernte ich Marie-Antoinette kennen. Nie wieder habe ich eine so faszinierende Frau<br />

getroffen. Doch sie hat diesen Jacques Tonnelat geheiratet. In dem Moment, in dem<br />

sie mir von der Verlobung erzählte, merkte ich, dass sie mir mehr bedeutete, als ich<br />

mir bis dahin eingestehen wollte. Viele Nächte habe ich der Chance hinterher geweint,<br />

diese wunderbare Frau für mich zu gewinnen. Ich habe mich dann noch mehr in meine<br />

Arbeit gestürzt um mich abzulenken.<br />

Sechs Monate habe ich gebraucht, um meine Doktorarbeit zu vollenden. Allerdings<br />

muss man dabei auch berücksichtigen, dass die Ideen, die ich dort zu Papier<br />

brachte, schon lange in meinem Kopf gereift waren. Wenn ich meinem Doktorvater<br />

Zwischenergebnisse vorlegte, warf er mir vor, meine Beweisführungen seien zu knapp.<br />

Aber warum sollte man auch Zeit vergeuden, um triviale Schritte aufzuschreiben? Ich<br />

muss zugeben, einige Beweise hielt ich absichtlich so knapp, damit sie kein anderer<br />

verstand und sie mir so auch nicht wegnehmen konnte, sollten ihm meine Notizen in<br />

die Hände fallen.<br />

Ich glaube, ich habe es geschafft, knapp über 30 Arbeiten zu veröffentlichen. Vermutlich<br />

wären es noch mehr gewesen, wenn ich nicht im November 1938 zum Militär<br />

eingezogen worden wäre. Man hat mir gesagt, dass ich als Doktor der Naturwissenschaften<br />

gleich auf die Reserveoffiziersschule gehen könnte. Aber warum sollte ich<br />

bevorzugt werden gegenüber so vielen jungen Männern? Ich war dem Land Frankreich<br />

zu großen Dank verpflichtet. Mit unserer Einbürgerung 1936 hatten sie uns vermutlich<br />

vor dem Schicksal bewahrt, das uns in Deutschland, wie so viele unserer Freunde,<br />

erwartet hätte. Außerdem glaubte ich nach wie vor nicht daran, dass es hier wirklich<br />

zu einem Krieg kommen würde. Während der im Frühjahr 1939 folgenden Ausbildung<br />

zum Gefreiten gehörte ich stets zu den Besten meines Bataillons. Allerdings konnte<br />

ich mit den meisten meiner Kameraden nicht viel anfangen. Bei jeder sich bietenden<br />

Gelegenheit feierten sie Feste und betranken sich. Ich hatte für mich eine bessere Art<br />

gefunden, mir die Zeit zu vertreiben – mit Nichtstun und Warten auf meine erste<br />

Bestrafung, die dann wegen Rost an meiner Waffe auch bald kam.<br />

Gelegentlich fand ich die Zeit, meinen mathematischen Arbeiten nachzugehen. Ich<br />

hatte auch immer ein Heft bei mir, um meine Gedanken sofort aufzuscgreiben. Aber<br />

oft kam ich wochenlang nicht dazu. Und man kann die äußeren Umstände natürlich<br />

auch nicht als ideal bezeichnen. Und dann die ständige Fragerei meiner Kameraden:<br />

” Warum bist du erst so spät einberufen worden? Warum läufst du ständig mit diesem<br />

Heft herum? Was schreibst du da auf?“ Ich antwortete nur, dass ich vom Wehrdienst<br />

zurückgestellt worden sei und dass ich Theoreme ausbrüte“. Es hätte doch eh niemand<br />

”<br />

verstanden, an was ich da arbeite. Es gab so viel, was sie alle nicht wussten. Ich habe<br />

niemandem gesagt, dass ich einen Doktortitel habe. Und vor allem wusste niemand,<br />

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