FRAUENHANDELN IN DEUTSCHLAND - KOK
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12 geSCHICHTe<br />
dIe geSCHICHTe deS THeMAS FrAueNHANdeL 13<br />
1 geSCHICHTe<br />
Kapitel<br />
Ulrike Gatzke<br />
Von IllEGalER PRostItutIon Zu MEnscHEnHandEl:<br />
dIE GEscHIcHtE dEs tHEMas FRauEnHandEl<br />
und dIE EntstEHunG und PRoFEssIonalIsIERunG<br />
Von FacHbERatunGsstEllEn In dEutscHland<br />
Überblick<br />
Beinahe drei Jahrzehnte sind seit den ersten debatten zum thema Frauenhandel<br />
vergangen. in dieser Zeit haben sich nicht allein die diskussion und die öffentliche<br />
Wahrnehmung der Problematik grundlegend verändert; auch die in dem Bereich<br />
arbeitenden Beratungsstellen haben sich professionalisiert und organisiert. ein<br />
ergebnis dieser Vorgänge ist die entstehung des <strong>KOK</strong>, des Bundesweiten Koordinierungskreises<br />
gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess,<br />
und seine entstehungsgeschichte soll im vorliegenden Kapitel dazu dienen, die vergangenen<br />
Prozesse und Wandlungen exemplarisch zu beleuchten.<br />
das thema Frauenhandel – dieser Begriff wird bis zum heutigen tage von der<br />
Mehrzahl der deutschen Beratungsstellen verwendet und soll aus diesem Grund<br />
auch hier anwendung finden 1 – erlangte anfang der achtziger Jahre zum ersten Mal<br />
die aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit. in den Medien wurde über das<br />
Phänomen des so genannten »sextourismus« deutscher Männer, meist nach thailand,<br />
berichtet, und des Weiteren von »importbräuten«, die von heiratsagenturen<br />
bisweilen per Katalog und inklusive rückgaberecht angeboten würden. etwa zum<br />
selben Zeitpunkt kam das thema der »illegalen Prostituierten« auf: Migrantinnen,<br />
die ohne rechtmäßigen status in deutschland in der Prostitution arbeiteten.<br />
auch Beratungsstellen kamen zunehmend mit den genannten Phänomenen<br />
in Kontakt. Besonders diejenigen mit Frauenbewegungs- oder entwicklungspolitischer<br />
Geschichte, und speziell die vermehrt entstehenden Projekte von und für<br />
Migrantinnen sowie viele ehrenamtlich engagierte Frauen, starteten einen theoretischen<br />
diskurs über diese bisher eher unbekannten themen. Gleichzeitig erlebten<br />
sie einen wachsenden Zustrom von Migrantinnen, die aufgrund ihrer prekären situation<br />
mit besonderen Bedürfnissen und Problematiken an die Mitarbeiterinnen<br />
der Beratungsstellen herantraten, die spezifische, neue angebote und unterstützungsleistungen<br />
erforderlich zu machen schienen.<br />
1 der terminus Frauenhandel wird von vielen akteurinnen bevorzugt, da er den schwerpunkt auf die Zielgruppe gehandelter<br />
Frauen und ihre Belange verdeutlicht. Zusätzlich beinhaltet er eine abgrenzung zum juristischen tatbestand des Menschenhandels,<br />
der bis zur strafrechtsänderung im Jahr 2005 aus sicht der Beratungsstellen nicht alle Facetten des Phänomens umfasste und somit<br />
ihrer Überzeugung nach unzureichend war.<br />
seit diesen anfängen ist viel aufgebaut und geschaffen worden. Mittlerweile gibt<br />
es in fast allen Bundesländern deutschlands insgesamt knapp vierzig spezialisierte<br />
Fachberatungsstellen, die sich um die interessen und Bedürfnisse von Betroffenen<br />
von Frauenhandel kümmern und im <strong>KOK</strong> organisiert sind. die bei der Bekämpfung<br />
von Frauenhandel wichtige Kooperation mit den strafverfolgungsbehörden<br />
hat sich etabliert, und es wurden professionelle Kooperationsvereinbarungen zwischen<br />
Beratungsstellen und der Polizei geschaffen. der <strong>KOK</strong> gilt auf europäischer<br />
ebene als erfolgreiches Best Practice Modell in hinsicht auf die geleistete lobby-<br />
und Koordinierungsarbeit und wird vermehrt eingeladen, dieses Wissen auf breiter<br />
ebene zu teilen. Ferner wird das Phänomen selbst heute anders betrachtet. in<br />
den Medien wird nun von »Frauenhandel« oder »Menschenhandel« gesprochen.<br />
das öffentliche interesse an dem thema ist anhaltend groß.<br />
doch auch vor dem hintergrund der bisherigen errungenschaften gibt es immer<br />
noch wichtige inhalte, an denen weiter gearbeitet werden muss. Bleibend aktuell<br />
ist zum Beispiel die Forderung nach einer holistischen Betrachtung des Phänomens<br />
Frauenhandel nicht allein als Verbrechen, sondern auch als Konsequenz von<br />
Problematiken wie weiblicher armut, chancenungleichheiten, diskriminierung,<br />
Gewalt an Frauen, Verletzung von Menschenrechten und der restriktiven deutschen<br />
Migrationspolitik. daneben gilt es, reaktionen auf und lösungsvorschläge<br />
für neu entstehende Problematiken zu entwickeln; einige davon werden zu einem<br />
späteren Zeitpunkt in diesem text skizziert. der <strong>KOK</strong> wird somit auch in Zukunft<br />
als sprachrohr und unterstützungspunkt für seine Mitgliedsorganisationen eine<br />
bedeutende rolle spielen.<br />
in den folgenden absätzen soll zunächst die entwicklung des themas Frauenhandel<br />
sowie die entstehung und Professionalisierung der Fachberatungsstellen<br />
und des <strong>KOK</strong> geschildert werden. danach werden die aufgabenbereiche des <strong>KOK</strong><br />
beschrieben. schließen möchte der text mit einem Überblick über die aktuellen<br />
debatten und schwerpunkte in hinsicht auf die Bekämpfung von Frauenhandel.<br />
das Phänomen Frauenhandel<br />
es wurde bereits beschrieben, auf welche art und mit welchen Geschichten das<br />
thema Frauenhandel in den achtziger Jahren erstmals in das Bewusstsein der Medien,<br />
der bundesdeutschen Öffentlichkeit und nicht zuletzt auch der Beratungsstellen<br />
gelangte.<br />
aber wie entstand dieses Phänomen? es ist anzunehmen, dass umstände wie<br />
die vereinfachten Möglichkeiten des globalen reisens und die zunehmenden informationen<br />
über ferne länder durch die Medien weltweit eine rolle spielten.<br />
der Ferntourismus aus deutschland in die damaligen herkunftsregionen stieg<br />
an, und für die Menschen dort wurde die Migration in ein wohlhabendes westliches<br />
land zu einem realisierbaren unterfangen. Besonders Frauen entschieden<br />
sich vor diesem hintergrund für die vorübergehende oder dauerhafte Wanderung<br />
nach deutschland, um sich ein neues leben aufzubauen oder die Familie<br />
versorgen zu können. doch dieser Weg wurde durch die restriktive einwanderungspolitik<br />
erschwert; es gab kaum Möglichkeiten, regulär eine arbeitserlaubnis<br />
zu erhalten, und die Frauen hatten zudem häufig wenig informationen über<br />
ihr Zielland.<br />
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