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FRAUENHANDELN IN DEUTSCHLAND - KOK

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20 geSCHICHTe<br />

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es wurde bereits dargestellt, dass die Professionalisierung und einbeziehung der<br />

Fachberatungsstellen in die identifizierung und Betreuung Betroffener wichtige<br />

positive auswirkungen für diese Menschen mit sich gebracht haben. doch diese<br />

entwicklung beinhaltet gleichzeitig die aufgabe, sich regelmäßig auf das selbstverständnis<br />

und die interessen der Zielgruppe zurückzubesinnen. Zur Veranschaulichung<br />

des Punktes ein Beispiel: selbstverständlich wünschen sich die Beratungsstellen<br />

genauso wie die Polizei, dass Betroffene von Frauenhandel im sinne der<br />

erfolgreichen strafverfolgung als Zeuginnen auftreten; und ihre arbeit mit den<br />

Frauen leistet einen wichtigen Beitrag zur erlangung dieses Ziels. Gleichzeitig erleben<br />

die Mitarbeiterinnen aber im direkten Kontakt mit den Klientinnen, dass viele<br />

diesen Weg durchaus nachvollziehbar scheuen – dabei spielen vor allen dingen<br />

die angst vor einer Gefährdung ihrer Familien und ihrer selbst nach der rückkehr<br />

sowie fehlende Verdienstmöglichkeiten eine rolle. aus diesem Konflikt heraus ergibt<br />

sich eine große Verantwortung für die Fachberatungsstellen: sie müssen die<br />

Frauen über alle verfügbaren schutz- und handlungsmöglichkeiten informieren<br />

und sich für deren umsetzung einsetzen, dürfen aber gleichzeitig nicht ihre ureigene<br />

aufgabe der parteilichen unterstützung der Klientinnen aus den augen verlieren.<br />

in diesem Zusammenhang erscheint es wichtig, sich auch vor einem anderen<br />

licht mit der institutionalisierung der dienste für Betroffene von Frauenhandel zu<br />

befassen: es hat sich, überspitzt gesagt, eine industrie um das thema gebildet mit<br />

festen abläufen und regeln. Bei allen positiven seiten dieser entwicklung scheint<br />

hier von Zeit zu Zeit ein einhalten wichtig zu sein. Beispielsweise der zunehmende<br />

datenaustausch zwischen den beteiligten institutionen – für die Organisation einer<br />

ausreise oder die umfassenden angaben, die von einigen unterstützungsorganisationen<br />

in den herkunftsländern nach der rückkehr von den Frauen erfragt<br />

werden – nimmt mittlerweile kritische ausmaße an und ist nicht im interesse der<br />

Betroffenen. sowohl vor dem hintergrund des Opfer- als auch des datenschutzes<br />

sind diese entwicklungen bedenklich, denn die Frauen haben keinen einfluss auf<br />

die Weitergabe ihrer daten, und der Zweck der sammlung ist in vielen Fällen nicht<br />

transparent und nachvollziehbar.<br />

eine weitere aufgabe der Fachberatungsstellen und auch des <strong>KOK</strong> als ihr sprachrohr<br />

ist es, zu problematisieren, dass die Mehrzahl der positiven errungenschaften<br />

in deutschland und auch auf europäischer und internationaler ebene den Fokus<br />

auf das interesse der strafverfolgung und der Kriminalitätsbekämpfung legen. die<br />

Grundsätze der achtung der Menschenrechte und der Wiedergutmachung stehen<br />

im Vergleich hintenan. natürlich sind diese Punkte auch im sinne der Betroffenen,<br />

aber nur, wenn ihnen ausreichend schutz gewährt und eine Wahl gelassen wird.<br />

denn sogar die sehr begrüßte so genannte »Opferschutzrichtlinie« 4 erläutert<br />

deutlich, wer in den Genuss des schutzes kommt: kooperationswillige und für die<br />

strafverfolgung nützliche Opfer. 5<br />

abschließend soll auf den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit und der vorherrschenden<br />

Berichterstattung eingegangen werden. auch heute noch wird viel zu oft<br />

nicht zwischen Prostitution und Frauenhandel unterschieden, obwohl das für ei-<br />

4 es handelt sich um die eu-richtlinie 2004/81/eG aus dem Jahr 2004, in der Maßnahmen für kooperationswillige Betroffene von<br />

Menschenhandel aus drittstaaten aufgelistet werden, die in den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden müssen. sie wird meist nicht<br />

ganz zutreffend »Opferschutzrichtlinie« genannt.<br />

5 Zur »Opferschutzrichtlinie« vgl. Koopmann-aleksin in Kapitel 6.<br />

nen grundlegenden Paradigmenwechsel so wichtig wäre. es wird viele Beratungsstellen<br />

geben, die ähnliche situationen kennen: der Journalist oder die Journalistin<br />

fragt nach einem »›typischen‹ Opfer«. der hinweis darauf, dass viele Frauen<br />

durchaus bewusst eine Migrationsentscheidung, vielleicht auch in die Prostitution,<br />

getroffen haben, wird ignoriert. ein oft gehörtes Zitat ist: »Das kann ich meinen<br />

ZuschauerInnen/LeserInnen/HörerInnen nicht klarmachen.« Vielleicht ja doch? die<br />

Fachberatungsstellen sollten weiterhin darauf hinarbeiten.<br />

Aussicht<br />

dieser artikel soll mit einem positiven ausblick schließen: die wichtige errungenschaft<br />

des erweiterten Verständnisses von Frauen- beziehungsweise Menschenhandel<br />

und die damit einhergehenden chancen. denn mit der neuen definition und<br />

ihrer Verankerung im deutschen strafrecht wurde ein bedeutender Grundstein<br />

gelegt, nämlich den handel mit Menschen vermehrt mit dem thema weltweiter<br />

arbeitsmigration zu verbinden, weg von der Konzentration auf den Bereich sexarbeit<br />

mit allen ihr innewohnenden – und vom eigentlichen Problem ablenkenden –<br />

moralischen sowie normativen Konfliktpotenzialen. 6<br />

dieser Wechsel muss nun in der nahen Zukunft weiter in der praktischen arbeit<br />

nachvollzogen werden. in dieser hinsicht ergeben sich einige Fragen für die Beratungsstellen<br />

und den <strong>KOK</strong>: Bedeutet die ausgeweitete definition eine automatische<br />

Zuständigkeit auch für die neu hinzugekommenen Bereiche? Wie wird mit der<br />

erweiterten Zielgruppe umgegangen; was ist mit der Betreuung von Männern und<br />

Kindern? Wie können wir diese Zielgruppe erreichen? Wie gehen unsere Kooperationspartnerinnen<br />

mit dem thema um? und auch Finanzierungsfragen spielen in<br />

diesem Zusammenhang eine rolle.<br />

die Bearbeitung dieser Komplexe hat begonnen und wird die Fachberatungsstellen<br />

und den <strong>KOK</strong> auch weiterhin beschäftigen. dabei werden folgende anliegen<br />

die schwerpunkte des handelns sein: ein umfassender menschenrechtlicher<br />

ansatz, die parteiliche und auf die interessen und Bedürfnisse der Zielgruppe<br />

konzentrierte unterstützungs- und lobbyarbeit, die weitere Verbesserung der<br />

leistungen und des schutzes Betroffener, die Forderung nach alternativen zur<br />

rückkehr, der Fokus auf die finanzielle Wiedergutmachung und die auszahlung<br />

ausstehender arbeitsvergütungen, die ausweitung der nationalen und internationalen<br />

Vernetzung, der schutz der daten von Betroffenen von Frauen-/ Menschenhandel<br />

und die Förderung und unterstützung der strafverfolgung. dabei stellen<br />

die gesammelte expertise und die jahrelange erfahrung wertvolle Grundlagen dar,<br />

die den Beratungsstellen und dem <strong>KOK</strong> eine starke stimme verleihen.<br />

6 das deutsche strafrecht in Bezug auf Menschenhandel wird in den Kapiteln 3 (rechtslage) und 4 (Praxis) näher behandelt.<br />

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