FRAUENHANDELN IN DEUTSCHLAND - KOK
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es wurde bereits dargestellt, dass die Professionalisierung und einbeziehung der<br />
Fachberatungsstellen in die identifizierung und Betreuung Betroffener wichtige<br />
positive auswirkungen für diese Menschen mit sich gebracht haben. doch diese<br />
entwicklung beinhaltet gleichzeitig die aufgabe, sich regelmäßig auf das selbstverständnis<br />
und die interessen der Zielgruppe zurückzubesinnen. Zur Veranschaulichung<br />
des Punktes ein Beispiel: selbstverständlich wünschen sich die Beratungsstellen<br />
genauso wie die Polizei, dass Betroffene von Frauenhandel im sinne der<br />
erfolgreichen strafverfolgung als Zeuginnen auftreten; und ihre arbeit mit den<br />
Frauen leistet einen wichtigen Beitrag zur erlangung dieses Ziels. Gleichzeitig erleben<br />
die Mitarbeiterinnen aber im direkten Kontakt mit den Klientinnen, dass viele<br />
diesen Weg durchaus nachvollziehbar scheuen – dabei spielen vor allen dingen<br />
die angst vor einer Gefährdung ihrer Familien und ihrer selbst nach der rückkehr<br />
sowie fehlende Verdienstmöglichkeiten eine rolle. aus diesem Konflikt heraus ergibt<br />
sich eine große Verantwortung für die Fachberatungsstellen: sie müssen die<br />
Frauen über alle verfügbaren schutz- und handlungsmöglichkeiten informieren<br />
und sich für deren umsetzung einsetzen, dürfen aber gleichzeitig nicht ihre ureigene<br />
aufgabe der parteilichen unterstützung der Klientinnen aus den augen verlieren.<br />
in diesem Zusammenhang erscheint es wichtig, sich auch vor einem anderen<br />
licht mit der institutionalisierung der dienste für Betroffene von Frauenhandel zu<br />
befassen: es hat sich, überspitzt gesagt, eine industrie um das thema gebildet mit<br />
festen abläufen und regeln. Bei allen positiven seiten dieser entwicklung scheint<br />
hier von Zeit zu Zeit ein einhalten wichtig zu sein. Beispielsweise der zunehmende<br />
datenaustausch zwischen den beteiligten institutionen – für die Organisation einer<br />
ausreise oder die umfassenden angaben, die von einigen unterstützungsorganisationen<br />
in den herkunftsländern nach der rückkehr von den Frauen erfragt<br />
werden – nimmt mittlerweile kritische ausmaße an und ist nicht im interesse der<br />
Betroffenen. sowohl vor dem hintergrund des Opfer- als auch des datenschutzes<br />
sind diese entwicklungen bedenklich, denn die Frauen haben keinen einfluss auf<br />
die Weitergabe ihrer daten, und der Zweck der sammlung ist in vielen Fällen nicht<br />
transparent und nachvollziehbar.<br />
eine weitere aufgabe der Fachberatungsstellen und auch des <strong>KOK</strong> als ihr sprachrohr<br />
ist es, zu problematisieren, dass die Mehrzahl der positiven errungenschaften<br />
in deutschland und auch auf europäischer und internationaler ebene den Fokus<br />
auf das interesse der strafverfolgung und der Kriminalitätsbekämpfung legen. die<br />
Grundsätze der achtung der Menschenrechte und der Wiedergutmachung stehen<br />
im Vergleich hintenan. natürlich sind diese Punkte auch im sinne der Betroffenen,<br />
aber nur, wenn ihnen ausreichend schutz gewährt und eine Wahl gelassen wird.<br />
denn sogar die sehr begrüßte so genannte »Opferschutzrichtlinie« 4 erläutert<br />
deutlich, wer in den Genuss des schutzes kommt: kooperationswillige und für die<br />
strafverfolgung nützliche Opfer. 5<br />
abschließend soll auf den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit und der vorherrschenden<br />
Berichterstattung eingegangen werden. auch heute noch wird viel zu oft<br />
nicht zwischen Prostitution und Frauenhandel unterschieden, obwohl das für ei-<br />
4 es handelt sich um die eu-richtlinie 2004/81/eG aus dem Jahr 2004, in der Maßnahmen für kooperationswillige Betroffene von<br />
Menschenhandel aus drittstaaten aufgelistet werden, die in den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden müssen. sie wird meist nicht<br />
ganz zutreffend »Opferschutzrichtlinie« genannt.<br />
5 Zur »Opferschutzrichtlinie« vgl. Koopmann-aleksin in Kapitel 6.<br />
nen grundlegenden Paradigmenwechsel so wichtig wäre. es wird viele Beratungsstellen<br />
geben, die ähnliche situationen kennen: der Journalist oder die Journalistin<br />
fragt nach einem »›typischen‹ Opfer«. der hinweis darauf, dass viele Frauen<br />
durchaus bewusst eine Migrationsentscheidung, vielleicht auch in die Prostitution,<br />
getroffen haben, wird ignoriert. ein oft gehörtes Zitat ist: »Das kann ich meinen<br />
ZuschauerInnen/LeserInnen/HörerInnen nicht klarmachen.« Vielleicht ja doch? die<br />
Fachberatungsstellen sollten weiterhin darauf hinarbeiten.<br />
Aussicht<br />
dieser artikel soll mit einem positiven ausblick schließen: die wichtige errungenschaft<br />
des erweiterten Verständnisses von Frauen- beziehungsweise Menschenhandel<br />
und die damit einhergehenden chancen. denn mit der neuen definition und<br />
ihrer Verankerung im deutschen strafrecht wurde ein bedeutender Grundstein<br />
gelegt, nämlich den handel mit Menschen vermehrt mit dem thema weltweiter<br />
arbeitsmigration zu verbinden, weg von der Konzentration auf den Bereich sexarbeit<br />
mit allen ihr innewohnenden – und vom eigentlichen Problem ablenkenden –<br />
moralischen sowie normativen Konfliktpotenzialen. 6<br />
dieser Wechsel muss nun in der nahen Zukunft weiter in der praktischen arbeit<br />
nachvollzogen werden. in dieser hinsicht ergeben sich einige Fragen für die Beratungsstellen<br />
und den <strong>KOK</strong>: Bedeutet die ausgeweitete definition eine automatische<br />
Zuständigkeit auch für die neu hinzugekommenen Bereiche? Wie wird mit der<br />
erweiterten Zielgruppe umgegangen; was ist mit der Betreuung von Männern und<br />
Kindern? Wie können wir diese Zielgruppe erreichen? Wie gehen unsere Kooperationspartnerinnen<br />
mit dem thema um? und auch Finanzierungsfragen spielen in<br />
diesem Zusammenhang eine rolle.<br />
die Bearbeitung dieser Komplexe hat begonnen und wird die Fachberatungsstellen<br />
und den <strong>KOK</strong> auch weiterhin beschäftigen. dabei werden folgende anliegen<br />
die schwerpunkte des handelns sein: ein umfassender menschenrechtlicher<br />
ansatz, die parteiliche und auf die interessen und Bedürfnisse der Zielgruppe<br />
konzentrierte unterstützungs- und lobbyarbeit, die weitere Verbesserung der<br />
leistungen und des schutzes Betroffener, die Forderung nach alternativen zur<br />
rückkehr, der Fokus auf die finanzielle Wiedergutmachung und die auszahlung<br />
ausstehender arbeitsvergütungen, die ausweitung der nationalen und internationalen<br />
Vernetzung, der schutz der daten von Betroffenen von Frauen-/ Menschenhandel<br />
und die Förderung und unterstützung der strafverfolgung. dabei stellen<br />
die gesammelte expertise und die jahrelange erfahrung wertvolle Grundlagen dar,<br />
die den Beratungsstellen und dem <strong>KOK</strong> eine starke stimme verleihen.<br />
6 das deutsche strafrecht in Bezug auf Menschenhandel wird in den Kapiteln 3 (rechtslage) und 4 (Praxis) näher behandelt.<br />
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