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FRAUENHANDELN IN DEUTSCHLAND - KOK

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80 PrAXIS<br />

FrAueNHANdeL ZuM ZweCK der AuSBeuTuNg der ArBeITSKrAFT 81<br />

erst durch die informationen und unterstützung einer Mitarbeiterin der Beratungsstelle<br />

JadWiGa war eine der betroffenen Frauen in der lage, sich selbst für<br />

die auszahlung ihres ausstehenden arbeitsgeldes einzusetzen, und erhielt innerhalb<br />

von zwei Wochen ihren vollen lohn von ihrem arbeitgeber. Zu einer Klage<br />

vor dem arbeitsgericht war bis dato kaum eine Frau bereit. die Gewerkschaft<br />

nahrung-Genuss-Gaststätten schätzt, dass in 95 Prozent der luxushotels Zimmermädchen<br />

für weniger als den Mindestlohn arbeiten. 122 es wurde nicht darauf<br />

hingewiesen, wie hoch der anteil der Migrantinnen war. es ist aber davon auszugehen,<br />

dass es vorwiegend Migrantinnen sind, die zu so geringen löhnen arbeiten<br />

und im Bezug auf die auszahlung hingehalten werden.<br />

ein weiterer Bereich, für den gerne Migrantinnen angeworben werden und in<br />

dem ausbeutung der arbeitskraft stattfinden kann, ist das austragen von Werbeprospekten.<br />

Fallbeispiel III<br />

Vier junge Frauen aus lettland im alter von 18 bis 22 Jahren wurden per Zeitungsannonce<br />

angeworben, um Werbeprospekte auszutragen. eine studentin,<br />

eine alleineerziehende Mutter und zwei schülerinnen, die ihren Familien helfen<br />

wollten, sind ohne deutschkenntnisse nach deutschland gekommen. die<br />

Mutter einer der jungen Frauen spricht nur russisch, ist arbeitslos und sieht<br />

für sich keine Zukunft mehr in lettland. sie lebt von der unterstützung durch<br />

ihre tochter. als russin, die jetzt als Minderheit in lettland lebt, fühlt sie sich<br />

benachteiligt und kann sich den Veränderungen nicht anpassen. ihr Bild von<br />

deutschland, geprägt von Fernsehbildern und erzählungen, ließ die vier jungen<br />

Frauen auf hohen lohn hoffen. sie wollten in kurzer Zeit »gutes Geld« verdienen.<br />

sie wurden in einem kleinen verwahrlosten Zimmer untergebracht, bekamen<br />

kaum zu essen und legten in unzureichendem schuhwerk als Prospektausträger<br />

täglich 30 Kilometer zu Fuß zurück, bis sie nicht mehr laufen konnten. sie waren<br />

nie allein, die Prospekte waren in einem auto, das die straßen abfuhr. entlohnt<br />

wurden sie nicht. Völlig erschöpft konnten sie trotz Überwachung fliehen.<br />

dies wären eigentlich Musterfälle für die anwendung des Gesetzes »Menschenhandel<br />

zum Zweck der ausbeutung der arbeitskraft«. in diesen und ähnlichen<br />

Fällen wurde aber dennoch keine anklage erhoben. nach aussage der staatsanwaltschaft<br />

München gestaltet sich eine anklageerhebung wegen Menschenhandel<br />

schwierig, da der tatbestand des § 233 hohe anforderungen stelle. Meist sei es<br />

einfacher, auf präzisere »griffigere« tatbestände auszuweichen. es wird eher wegen<br />

einschleusung, lohnwucher und anderen tatbeständen ermittelt und es ergehen<br />

strafbefehle gegen die arbeitgeber wie Geldbußen wegen § 10 schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz<br />

(Beschäftigung von ausländern ohne Genehmigung oder ohne<br />

aufenthaltstitel und zu ungünstigen arbeitsbedingungen). Besonders schwierig ist<br />

eine anklage in Fällen von ausbeutung in Privathaushalten. da die Beziehung<br />

zwischen arbeitnehmerin und arbeitgeberin eine sehr persönliche ist. in diesen<br />

arbeitsverhältnissen sind Frauen oft der absoluten Willkür der arbeitgeber ausge-<br />

122 abendzeitung v. 17.01.2008<br />

liefert, isoliert und hilflos. dies führt dazu, dass einerseits im Falle einer anklage<br />

die Beweisführung äußerst schwierig fällt (wenn nicht objektive Beweise vorliegen)<br />

anderseits aber die betroffenen Frauen selbst oft aufgrund ihrer schlimmen erlebnisse<br />

und angst vor rache von einer anzeige abstand nehmen. auch ihre sprachkenntnisse<br />

und Kenntnisse ihrer rechte reichen oft nicht aus, um sich gegen die<br />

ausbeutung zu wehren.<br />

es stellt sich die Frage, welche Maßstäbe angelegt werden, um das in § 233 abs.1<br />

stGB verlangte »auffällige Missverhältnis zu den arbeitsbedingungen anderer<br />

arbeitnehmerinnen und arbeitnehmer« zu begründen. selten kommt es zu einer<br />

anklage oder einer rechtskräftigen Verurteilung einer arbeitgeberin oder eines<br />

arbeitgebers nach diesem Paragraphen. auch bei unterschreitung der Mindestlohngrenzen<br />

von arbeitnehmerinnen sind nach ansicht der Münchner staatsanwaltschaft<br />

keine anklagen wegen Menschenhandel zu erwarten, weil die Besserstellung<br />

gegenüber dem heimatland überwiegt oder der lohn mit der unterkunft<br />

und Verpflegung aufgerechnet wird.<br />

die betroffenen Frauen müssten selbst anzeige erstatten und den lohn auf eigene<br />

Kosten beim arbeitsgericht einklagen, aber ihre lohnforderungen sind zum<br />

teil geringer als die rechtsanwaltskosten. am Münchener amtsgericht wird derzeit<br />

ein Musterprozess gegen einen Münchner anwalt geführt, der über 100 ungarische<br />

Frauen als billige haushaltshilfen an Familien mit pflegebedürftigen angehörigen<br />

vermittelt haben soll für stundenlöhne von rund 1,80 euro. 123 hier geht es<br />

im Grundsatz um die Frage, ob ihre arbeit eine selbständige tätigkeit war.<br />

unterstützung und beratung von opfern der arbeitsausbeutung<br />

bei JadwIGa in bayern<br />

der Kontakt zu der Beratungsstelle wird durch die ermittlungsstellen der Polizei,<br />

durch die Zollfahndung, durch das ausländeramt oder andere institutionen hergestellt.<br />

im erstgespräch klären die Mitarbeiterinnen, ob die betroffene Frau eine<br />

Beratung braucht und wünscht. sie bekommt eine kurze erklärung der tätigkeit<br />

der Beratungsstelle und wird schon zu Beginn nach ihrem aktuellen Befinden gefragt,<br />

ob sie hunger, angst oder schmerzen hat. so wird eine erste Vertrauensbasis<br />

hergestellt. dabei hilft besonders die muttersprachliche Kompetenz der Mitarbeiterinnen.<br />

in Krisensituationen ist eine schnelle und unbürokratische hilfe erforderlich.<br />

dazu gehört die Vermittlung einer unterbringung und evtl. die Versorgung mit<br />

hygieneartikeln oder Kleidung, da die Frauen bei einer Flucht ihre persönlichen<br />

sachen zurücklassen. die Fachberatungsstellen unterstützen die betroffenen<br />

Frauen bei der Klärung ihres aufenthaltsstatus und bei der Beantragung finanzieller<br />

hilfe zum lebensunterhalt. Bei Bedarf wird sofort medizinische hilfe und<br />

grundsätzlich auch rechtsberatung vermittelt.<br />

Ziel der Beratung ist es, die Frauen zu stabilisieren und gemeinsam mit ihnen<br />

einen Weg in die Zukunft zu finden. die psychische Belastung, gesundheitliche<br />

Probleme, die angst vor racheakten der täter und angst vor der Zukunft erfordern<br />

eine intensive Beratung und Betreuung. um die Frauen optimal beraten und<br />

123 süddeutsche Zeitung v. 21.01.2008<br />

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