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FRAUENHANDELN IN DEUTSCHLAND - KOK

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146 <strong>IN</strong>TerNATIoNALeS<br />

<strong>IN</strong>TerNATIoNALe uNd euroPÄISCHe MeNSCHeNHANdeLSPoLITIKeN 147<br />

individuen dargestellt, sondern als naive, verführbare und leichtgläubige Opfer. 271<br />

sie sind gleichzeitig in ihren herkunftsländern »risikofaktoren«, da sie auf Grund<br />

ihres Verhaltens oder charakters das Verbrechen des Menschenhandels ermöglichen<br />

und in den Zielländern zu bemitleidende Menschen sind, die zu schwach und<br />

zu unterdrückt sind, um ihre rechte einzuklagen und einzufordern. 272<br />

Zahlreiche Bilder europäischer und internationaler aufklärungskampagnen zu<br />

den Gefahren des Menschenhandels, die in den 1990er Jahren und in den ersten<br />

Jahren des 21. Jahrhunderts durchgeführt wurden, vermitteln einen eindruck dieser<br />

herangehensweise. sie stellen Frauen gefangen in Vogelkäfigen dar oder als<br />

Marionetten, gehalten von einem übergroßen, schattigen Mann im halbprofil, der<br />

nicht richtig zu erkennen ist und unangreifbar zu sein scheint. 273<br />

stereotypisierungen in dieser art, gepaart mit sexualisierten Zuschreibungen,<br />

die im europäischen Menschenhandelsdiskurs nach wie vor dominant sind, entfernen<br />

die betroffenen Personen eher von der legitimen einforderung ihrer rechte,<br />

als dass sie durch eine solche identifizierung in ihrer schutzbedürftigkeit erkannt<br />

werden. die us-amerikanische Juristin alice Miller beschreibt das Verhältnis<br />

identitätspolitischer Zuschreibungen und rechtsansprüchen sehr prägnant:<br />

»Die Entfernung, die überwunden werden muß, um ein männliches Folteropfer<br />

in einen anerkannten Bürger und subjektiven Rechtsträger zu verwandeln ist kürzer<br />

als die Entfernung, die überwunden werden muß, um eine vergewaltigte Frau in eine<br />

Bürgerin und Rechtsträgerin zu verwandeln. Ich werde versuchen die aufgestellten<br />

Barrieren zu erfassen, die sich in den Kategorien von gender, Sexualität, Alter, Rasse<br />

oder ethnische Zugehörigkeit manifestieren. Für Männer ist die Entfernung am kürzesten,<br />

wenn das Folteropfer bereits einen anerkannten und respektierten männlichen<br />

Bürger repräsentiert, d.h. dass er der richtigen Rasse, Sexualität und sozialen Status<br />

angehört (kein verurteilter Straftäter, Roma, Jugendlicher oder ein schwuler Stricher).<br />

Bei Personen jedoch, die in die Kategorie »Frau« fallen, werden Auffassungen von Bürgerrechte<br />

durch kulturelle und politische normen der weiblichen Sexualität gedämpft,<br />

um nur ein Beispiel zu nennen. Daher ist für viele Frauen, besonders für Frauen aus<br />

der sogenannten Dritten Welt, die Entfernung von »Sexsklavin« zur Bürgerin bemerkenswert<br />

lang.« 274<br />

der durch zivilgesellschaftliche akteure geforderte Menschenrechtsansatz in der<br />

Bekämpfung des Menschenhandels hat sich inzwischen in der Mainstream rhetorik<br />

der internationalen Politik durchgesetzt. 275 die umsetzung der auf Menschenrechtsschutz<br />

basierenden Maßnahmen in die Praxis hat sich jedoch als<br />

problematisch herausgestellt. Zentral in der umsetzungsproblematik ist der nichtexistierende<br />

völkerrechtliche status des »gehandelten Menschen« analog z.B. zum<br />

271 Völkerrechtliche Übereinkommen im Politikfeld Menschenhandel standen im 20. Jahrhundert vor allem in der tradition des<br />

»Weissen sklavenhandels für unmoralische Zwecke«: international agreement for the suppression of the White slave trade. Paris<br />

1904; international convention for the suppression of the White slave trade. Paris 1910; international convention for the suppression<br />

of the traffic in Women and children. Geneva 1921; international convention for the suppression of the traffic in Women.<br />

Geneva 1933; united nations convention for the suppression of the traffic in Persons and of exploitation of the Prostitution of<br />

others (1949)<br />

272 aradau, claudia: the Perverse Politics of Four-letter Words: risk and Pity in the securitisation of human trafficking. in:<br />

Millenium. Journal of international studies, Vol. 33, no.2, March 2004. s. 251-277 .<br />

273 siehe zahlreiche Kampagnen von iOM<br />

274 alice M. Miller: Women make demands and ladies get protection. s. 30 Übersetzt durch die autorin.<br />

275 siehe den Bezug des Menschenhandels als Menschenrechtsverletzung in zahlreichen un-, Osce-, eu- und europaratskonferenzbeiträgen<br />

zum thema Menschenhandel in den letzten Jahren .<br />

Flüchtlingsstatus. die Palermo-definition bietet ausschließlich eine strafrechtsdefinition<br />

des Verbrechens Menschenhandel, welche den gehandelten Menschen<br />

als Verbrechensopfer sieht, ohne diesen mit spezifischen schutzansprüchen auszustatten.<br />

in diesem rechtlichen Vakuum werden schutzmaßnahmen entworfen für gehandelte<br />

Menschen, hauptsächlich basierend auf dem regelwerk und der institutionellen<br />

eigenlogik der jeweils nicht-staatlichen oder internationalen akteure, die<br />

Zufluchtswohnungen betreiben sowie psychologische und soziale Beratungen und<br />

rückführungsprogramme in den unterschiedlichen europäischen ländern durchführen.<br />

haftung und rechenschaftspflicht gegenüber dem gehandelten Menschen<br />

können daher nur in begrenztem rahmen gewährleitstet werden, da nicht nur der<br />

fehlende status rechtliche unsicherheit mit sich führt, was sowohl die rechtsansprüche<br />

der Betroffenen als auch die schutzverpflichtungen des staates betrifft.<br />

Zudem können als akteure in der durchführung von schutzmaßnahmen ausschließlich<br />

nationalstaaten haftbar gemacht werden für eventuelle Verletzungen<br />

von Menschenrechten, wie z.B. möglichen Freiheitsentzug im rahmen von unterbringung<br />

von Menschenhandelsopfern, Gefahr für leib und leben nach rückführung,<br />

irreguläre sammlung von persönlichen daten usw.<br />

der grenzüberschreitend gehandelte Mensch genießt daher weder seinen staatbürgerrechtlichen<br />

schutz noch kann er seinen völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz<br />

einklagen, da die ihn betreffenden Maßnahmen mehrheitlich von internationalen<br />

und nicht-staatlichen akteuren ausgeführt werden. 276<br />

die Politikwissenschaftlerin seyla Benhabib beschreibt den Widerspruch eines<br />

universellen Menschenrechtsanspruchs und der auf aus- und abgrenzung basierenden<br />

idee von nationalstaaten als einzige haftbare entitäten des Menschenrechts-<br />

schutzes als »Januskopf der modernen nation«:<br />

»Diese Zerreißprobe zwischen den Menschenrechtsforderungen und den besonderen<br />

kulturellen und nationalen Identitäten ist wesentlich für die demokratische Legitimation.«<br />

277<br />

die umsetzung einer auf Menschenrechten basierenden Politik zur Bekämpfung<br />

von Menschenhandel ist dann unzureichend, wenn sie nicht die Prinzipien<br />

demokratischer teilhabe berücksichtigt. durch die einbindung der Betroffenen in<br />

direkter Form oder in Form zivilgesellschaftlicher interessensvertretungen in die<br />

entscheidungsprozesse und Politikentwürfe der Menschenhandelsbekämpfungspolitik<br />

können direkte einsprüche ermöglicht werden, um geplante Maßnahmen<br />

an der realität der Betroffenen messen zu können.<br />

in einigen europäischen ländern wird versucht, durch die einrichtung von<br />

multi-disziplinären runden tischen dieser demokratischen teilhabe rechnung<br />

zu tragen. dadurch positioniert sich die Menschenhandelsbekämpfungspolitik<br />

nicht nur im Politikfeld des Menschenrechtsschutzes, sondern sie kann sich auch<br />

gezielt am aufbau rechtsstaatlicher strukturen und demokratischer institutionen<br />

beteiligen.<br />

276 siehe auch andrea sölkner, Bärbel heide uhl: Freiwillige rückkehrprogramme für gehandelte Menschen: Menschenrechtsschutz<br />

vs. Migrationsmanagment? Jahrbuch Menschenrechte 2008. sklaverei heute. Frankfurt 2007.<br />

277 seyla Benhabib: citizen, leadersip and Political Participation. in: contemporary Political science. 2007, p.115 Übersetzung<br />

durch die autorin<br />

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