FRAUENHANDELN IN DEUTSCHLAND - KOK
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82 PrAXIS<br />
FrAueNHANdeL ZuM ZweCK der AuSBeuTuNg der ArBeITSKrAFT 83<br />
betreuen zu können, müssen muttersprachliche sozialarbeiterinnen oder geschulte<br />
dolmetscherinnen eingesetzt werden. Mehr als 80 Prozent der betroffenen Frauen<br />
haben keinerlei deutschkenntnisse, sind ängstlich und verwirrt und werden über<br />
einen längeren Zeitraum von den täterinnen unter druck gesetzt. die Beratung<br />
wird geleitet vom Prinzip »hilfe zur selbsthilfe«. dabei werden unter Berücksichtigung<br />
der jeweiligen lebenssituation sowie der kulturel len aspekte und hintergründe<br />
besonders die individuellen handlungskompetenzen der Frauen gestärkt<br />
und hilfen zur alltagsbewältigung gegeben.<br />
Kommt es zu einem strafprozess gegen die täter, ist die Prozessvorbereitung<br />
und -begleitung eine zeitintensive aufgabe der Beratungsstelle. Psychosoziale Betreuung<br />
vor und nach dem Prozess gehört zu den wichtigsten aufgaben einer Fachberatungsstelle.<br />
im Falle einer rückkehr kann die Beratungsstelle, unabhängig von der aussagebereitschaft,<br />
auf Wunsch mit hilfsstellen in den herkunftsländern Kontakt aufnehmen,<br />
telefonate mit angehörigen vermitteln und eine rückreise vorbereiten.<br />
aufenthaltsrechtliche Probleme<br />
auch Opfer von Menschenhandel zur arbeitsausbeutung können sowohl die 1-Monats-Frist<br />
(so genannte Bedenk- und stabilisie rungsfrist) 124 als auch die Möglichkeit<br />
des vorübergehenden aufenthaltes als Zeugin in ermittlungs- und strafverfahren<br />
erhalten (§ 25 abs. 4a aufenthG)125, wenn die polizeilichen ermittlungen<br />
das delikt Menschenhandel verfolgen. da aber in den meisten Fällen nur wegen<br />
lohnwucher und/oder anderen tatbeständen ermittelt wird, werden die »illegalen«<br />
Frauen, die aus nicht -eu- ländern kommen, ausgewiesen oder abgeschoben<br />
und haben infolgedessen keine Möglichkeit, ihre rechte einzufordern.<br />
Für Frauen aus den »neuen« eu-ländern gilt das Freizügigkeitsgesetz/eu. 126<br />
doch Bürgerinnen der neuen eu-länder haben noch einen erschwerten Zugang<br />
zum deutschen arbeitsmarkt. nach dem Freizügigkeitsgesetz können sie in<br />
deutschland grundsätzlich nur als selbstständige arbeiten. ausnahmefälle sind<br />
Beschäftigungen im rahmen von Werkverträgen oder saisonarbeiten (erntehelfer<br />
oder hotelbranche). Frauen, die keine entsprechende erlaubnis besitzen, werden<br />
im Falle einer Kontrolle wegen schwarzarbeit belangt. Ob es sich bei einem<br />
arbeitsverhältnis eventuell um Menschenhandel zur arbeitsausbeutung handeln<br />
könnte, wird bei solchen Kontrollen nicht vorrangig ermittelt.<br />
sicherung des lebensunterhalts<br />
die Finanzierung des lebensunterhaltes für von Frauenhandel betroffene Frauen<br />
ist grundsätzlich von ihrer aufenthaltsrechtlichen situation abhängig. so unterschiedlich<br />
die aufenthaltstitel sind, so verschieden sind die sozialleistungen. es<br />
kann passieren, dass eine Opferzeugin aus einem außereuropäischen land besser<br />
124 diese Zeit soll den Betroffenen dazu dienen, sich zu überlegen, ob sie mit den strafverfolgungsbehörden kooperieren und eine<br />
aussage machen wollen.<br />
125 siehe auch Kapitel 3<br />
126 Freizügigkeitsgesetz/eu: Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von unionsbürgern im Zuwanderungsgesetz<br />
gestellt ist mit erhalt der asylbewerberleistungshilfe als eine eu-Bürgerin, die aufgrund<br />
der Praxis in vielen Bundesländern oder Kommunen keine leistungen nach<br />
dem sozialgesetzbuch erhält. Bundesweit gibt es keine einheitliche Praxis hinsichtlich<br />
der alimentierung von Opferzeuginnen aus den eu-ländern. 127 in den<br />
meisten Fällen ist die leistungsgewährung abhängig davon, ob die Polizei, bzw. die<br />
staatsanwaltschaft den status als Opferzeugin bestätigt. Zudem bestehen erhebliche<br />
unklarheiten seitens der Behörden bei der leistungsvergabe (asylblG, sGB<br />
ii, sGB iii) bis hin zur ablehnung jeglicher hilfen. Für die Fachberatungsstellen<br />
bedeutet die Beantragung und Klärung des anspruchs auf finanzielle hilfen für<br />
die Klientinnen einen enormen zeitlichen Mehraufwand. die Frauen selbst verunsichert<br />
dies noch zusätzlich und führt zu existenzängsten.<br />
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die arbeit der Fachberatungsstellen<br />
mit von arbeitsausbeutung betroffenen Frauen oft vor großen schwierigkeiten<br />
steht:<br />
• rechtliche unsicherheit bezüglich des aufenthalts und der alimentierung<br />
• Fehlende rechtliche und soziale Perspektiven für die Opfer<br />
• Fehlende unterstützungsmöglichkeiten, um den ausstehenden lohn<br />
einzuklagen<br />
in der Beratung steht die information über ihre rechte und stärkung der Konfliktfähigkeit<br />
im Vordergrund. Genauso wichtig ist es, die betroffenen Frauen zu<br />
selbstbestimmten entscheidungen zu ermutigen. es bleibt an uns, die rechte der<br />
Migrantinnen zu stärken unabhängig davon, ob sie mit oder ohne aufenthaltsstatus<br />
in deutschland leben. es geht hier um die Wahrung der elementaren Menschenrechte.<br />
128<br />
Empfehlungen<br />
um umfassende Opferschutzmaßnahmen zu gewährleisten, bedarf es einer intensiven<br />
Zusammenarbeit der beteiligten Behörden und institutionen, einer sensibilisierung<br />
für das thema arbeitsausbeutung und konsequenterweise die durchsetzung<br />
der bestehenden rechtlichen und sozialen regelungen, die eine hilfeleistung<br />
ermöglichen:<br />
129 • der Verzicht auf Feststellung des aufenthaltsrechtlichen status bei<br />
arbeitsgerichtsprozessen wäre Voraussetzung, dass betroffene Frauen es<br />
überhaupt wagen, ihren arbeitslohn einzuklagen.<br />
•<br />
•<br />
Bundeseinheitliche regelungen zur Finanzierung des lebensunterhalts auch<br />
für eu -Bürgerinnen, die Opfer von arbeitsausbeutung geworden sind,<br />
müssen geschaffen werden.<br />
eine Verbesserung des Opferschutzes braucht auch die nachhaltige<br />
Finanzierung von ausreichenden Beratungs- und<br />
unterbringungsmöglichkeiten.<br />
127 <strong>KOK</strong>-umfrage dezember 2007<br />
128 Vgl. spieß 2007, teil 3<br />
129 cyrus, 2006<br />
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