FRAUENHANDELN IN DEUTSCHLAND - KOK
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92 PrAXIS<br />
HeIrATSMIgrATIoN uNd HANdeL <strong>IN</strong> dIe eHe 93<br />
Beispiel 1: Vorgetäuschte Liebe als Falle für sexuelle Ausbeutung<br />
ein Mann wird zum Freund: er spricht eine Frau an, unterhält sich nett mit<br />
ihr, lädt sie in restaurants ein, umwirbt sie und gesteht ihr seine liebe, er<br />
will sie heiraten. nach seiner rückkehr nach deutschland schickt er ihr eine<br />
einladung. er verspricht ihr die ehe. die Frau reist mit einem touristenvisum<br />
nach deutschland und verbringt mit ihm zunächst eine schöne Zeit.<br />
doch dann lässt die hochzeit auf sich warten. der Freund bringt immer<br />
neue Gründe für eine terminverschiebung vor. er sei noch verheiratet, und<br />
die scheidung ziehe sich hin. sie brauchen Geld, er habe nicht genug für beide.<br />
sie müsse also arbeiten gehen. sexarbeit bringe am meisten. die Frau willigt<br />
ein und wird dadurch erpressbar. Wenn sie nun nicht zur arbeit gehen will<br />
oder wenn sie ihrem vermeintlichen Freund kein Geld abliefert, bedroht er<br />
sie: er könne ihrer Familie von ihrer arbeit erzählen. eine wirksame drohung,<br />
denn die Frau schämt sich für ihre tätigkeit in der Prostitution und will<br />
alles tun, um diese zu verheimlichen. sie liefert deshalb das Geld ab. Wenn es<br />
zu einer eheschließung kommt, ist dies vorteilhaft für die heiratsmigrantin.<br />
sie bekommt eine reguläre aufenthaltserlaubnis und eine arbeitserlaubnis.<br />
auch nach der heirat lässt der Mann nicht locker. ist es denn nicht notwendig,<br />
dass sie arbeiten geht, damit sie ihre gemeinsame Wohnung schön<br />
einrichten können? ist dann nicht Prostitution der einzige Weg zu schnellem<br />
Geld? die argumente leuchten der Frau eigentlich ein. sie möchte ja auch ihre<br />
eigene Familie und gegebenenfalls ihre eigenen Kinder unterstützen. daher<br />
ist sie bereit, jede arbeit anzunehmen.<br />
aber nicht in der Prostitution. sie leistet hartnäckig Widerstand, dann<br />
scheut der Mann nicht mehr vor Gewaltanwendung zurück und erniedrigt<br />
seine Frau, auch durch Vergewaltigung.<br />
Körperliche Gewalt ist nicht sein einziges Mittel. denn schließlich drohe<br />
ihr jeder Zeit die abschiebung, wenn er sich von ihr trenne, so sagt er. nur<br />
sein guter Wille bringe ihr die aufenthaltserlaubnis, sonst sei sie ein nichts –<br />
ein kurzer anruf beim ausländeramt, und sie sei weg. schlimm an dieser<br />
drohung ist: es ist keine leere drohung. Viele ausländerämter reagieren genau<br />
wunschgemäß. der aufenthaltszweck eines ehepartners erlischt nach einer<br />
trennung vor ablauf von zwei Jahren ehe. sie müsste also deutschland<br />
verlassen. die trennung von ihrem Mann, die gescheiterte Migration, all das<br />
bringt aber Gesichtsverlust und schande über die Familie der Frau. das sind<br />
Gründe, die eine rückkehr unmöglich machen.<br />
schließlich gelingt es ihm, sie der Prostitution zuzuführen. der ehemann<br />
unserer Klientin organisierte für seine Frau eine «Party«. er besorgt einen<br />
Freier, der die »privat Party« mit der Frau »verbringt«. nach getaner arbeit,<br />
gibt der Freier dem ehemann den lohn. Über den lohn macht sie sich erst<br />
mal keine weiteren Gedanken – hatte er nicht immer wieder betont, das gemeinsame<br />
einkommen wird für beide gespart? nur wenn sie ihn jedes Mal<br />
neu nach Geld für ihre Familie fragen muss, kommt es ihr vor wie Betteln.<br />
Viel später erfährt sie, dass das Geld, das sie verdient hat, auf einen anderen<br />
namen angelegt wurde und dass sie selbst mit leeren händen dasteht. doch<br />
immer noch ist sie dem ehemann ausgeliefert. die angst, scham und sorge<br />
um die Konsequenzen für ihre herkunftsfamilie erlauben ihr nicht, offen<br />
über ihre lage sprechen.<br />
schließlich offenbart sie sich einer nachbarin, die sie in unsere Beratungsstelle<br />
vermittelt.<br />
Manche Frauen arrangieren sich mit ihrer schwierigen situation, nicht selten sogar<br />
mit einer totalen Kontrolle (sie können sich nicht frei bewegen, werden ständig<br />
von ihren ehemännern begleitet oder müssen rechenschaft abgeben, wo sie waren<br />
usw.) und Freiheitsentzug – wenn sie nur ein wenig Geld nach hause schicken<br />
können. insbesondere die rechtliche unsicherheit fesselt Frauen an ihre im Grunde<br />
unzumutbare lebenslage. dass ihre aufenthaltserlaubnis in den ersten zwei<br />
Jahren von der ehe abhängig ist und dass ausnahmen davon (»besondere härte«)<br />
vom ermessen der Behörden abhängig sind, verunsichert viele Frauen so sehr, dass<br />
sie das oftmals qualvolle leben mit dem ehemann weiter aushalten.<br />
Zur Beratung kommen Frauen erst dann, wenn ihre situation unerträglich wird,<br />
z.B. wegen körperlicher Misshandlungen oder suchtkrankheit der ehemänner. es<br />
ist häufig ein schwieriger unterstützungsprozess, nicht zuletzt auch deswegen, weil<br />
die Ämter notwendige entscheidungen verweigern oder lange hinauszögern.<br />
exemplarisch soll hier der Fall einer jungen Frau, die zu uns kam, nachdem sie<br />
von ihrem ehemann aus der ehelichen Wohnung rausgeworfen wurde, dargestellt<br />
werden.<br />
ihre mit einem deutschen verheiratete schwester hatte ihr die ehe vermittelt.<br />
die ehe stellte sich aber als eine Pflegestelle heraus.<br />
Beispiel 2: Arbeitskraftausbeutung in der Ehe<br />
die Frau pflegte die schwerkranke Mutter des Mannes, die in seinem haushalt<br />
lebte, und kümmerte sich um den haushalt. Geld bekam sie nie. Von ihrer eigenen<br />
Mutter lieh sie sich das Geld für Winterkleidung. Wenn sie ansprüche<br />
an ihren ehemann stellte, tat er so, als verstünde er ihr angeblich so schlechtes<br />
englisch kaum.<br />
die schwiegermutter war ihr sehr dankbar für die hingabe und Zuwendung,<br />
mit der die junge Frau sie pflegte. Freizeit hatte sie nie.<br />
ein Jahr nach der hochzeit starb die schwiegermutter und vererbte der<br />
schwiegertochter ein kleines Vermögen. eine Woche später begann der Mann,<br />
sie aus dem haus zu drängen. Zunächst wollte sie es nicht wahr haben. er war<br />
doch freundlich zu ihr gewesen – bis zum tod seiner Mutter. da wurde der<br />
Mann deutlicher, er sagte ihr offen, dass er sie aus dem hause haben wolle. nun<br />
wurde der Frau klar, was der Mann geplant und durchgeführt hatte: er hatte sie<br />
nur geheiratet, um ihre arbeitskraft bei der Pflege seiner Mutter auszubeuten.<br />
er schlug sie. sie flüchtete vor weiteren schlägen. Weil ihre schwester ihr keine<br />
hilfe bot, war sie gezwungen, eine Zuflucht im Frauenhaus zu suchen, und<br />
wandte sich an uns. sie verfügte über keinerlei finanzielle Mittel. Wir halfen<br />
der Frau sozialleistungen zu beantragen. als der ehemann davon erfuhr, übte<br />
er massiven druck auf sie aus: das sei sozialbetrug, sie komme ins Gefängnis,<br />
wenn sie trotz des erbes seiner Mutter sozialleistungen erhalte. aber sie hatte ja<br />
noch kein erbe bekommen, und der ehemann wollte ihr auch kein Geld geben.<br />
Vielmehr stellte sich heraus, dass der Mann zusammen mit seiner Freundin ein<br />
Konto unter ihrem namen eröffnet hatte, über das sie keine Verfügungsgewalt<br />
hatte. die Freundin des Mannes arbeitete bei dieser Bank und war deshalb in<br />
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