FRAUENHANDELN IN DEUTSCHLAND - KOK
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<strong>IN</strong>TerNATIoNALe uNd euroPÄISCHe MeNSCHeNHANdeLSPoLITIKeN 151<br />
werden z.B. für die erfassung der Opfer 19 indikatoren vorgeschlagen, einschließlich<br />
informationen über persönliche daten, anwerbung, transport und ausbeutungsdetails,<br />
während der Menschenhändler nur mit 10 indikatoren erfasst wird.<br />
einen ähnlichen trend zeigen auch politische dokumente auf, die in den letzten<br />
Jahren in europa verabschiedet wurden wie z.B. der OsZe-aktionsplan oder die<br />
eu-Kommissionsmitteilung an den rat 2005: diese sind von Zuschreibungen potentieller<br />
Opfer auf soziale Gruppen durchzogen, während die täterprofile kaum<br />
beschrieben werden. 287<br />
Für zahlreiche Menschen in herkunftsländern hat eine derartige stereotypisierung<br />
ernsthafte Konsequenzen: als risikogruppe wird ihnen im Zuge von Präventionsmaßnahmen<br />
– zu ihrem eigenen schutz oder dem schutz von staatsgrenzen –<br />
kein Visum zur einreise ausgestellt. Zudem werden sie zur Zielgruppe und als<br />
adressaten verschiedener aufklärungskampagnen erklärt, die vor den Gefahren<br />
und risiken in den jeweiligen Zielländern warnen. sozial marginalisierte Gruppen<br />
wie internal displaced Persons (idPs), ethnische Minderheiten, Menschen<br />
mit Behinderungen, alleinerziehende Mütter usw. werden im Zuge dieser Maßnahmen<br />
bereits als risikogruppen stigmatisiert und in ihrer Bewegungsfreiheit<br />
eingeschränkt .<br />
Persönliche daten gehandelter Menschen werden nicht nur im Zuge strafrechtlicher<br />
ermittlungen und Verfahren durch nationalstaatliche akteure erhoben und<br />
gespeichert, sondern auch im rahmen von unterstützungs- und rückführungsmaßnahmen<br />
durch internationale akteure und nichtregierungsorganisationen.<br />
dabei werden oft detaillierte abläufe der ausbeutungssituation zusammen mit<br />
den persönlichen angaben aufgenommen. in den wenigsten Fällen hat der gehandelte<br />
Mensch Zugang zu seinen daten und Kontrolle über deren Weiterleitung.<br />
das kann weitere stigmatisierungen und Belästigungen in den herkunftsländern<br />
zur Folge haben, insbesondere, wenn es sich um Fälle von Menschenhandel in die<br />
sexuelle ausbeutung handelt. 288<br />
schlussfolgerungen<br />
die »Kollateralschäden« der europäischen und internationalen spezialisierten<br />
Menschenhandelsinstrumente fordern zu einer rückbesinnung der nutzung des<br />
völkerrechtlichen Menschenschutzes auf. Politiken gegen Menschenhandel sollten<br />
in existierende Politikfelder und Prozesse einfließen und sie somit einem transparenten<br />
und partizipatorischen diskussionsprozess aussetzen anstatt sie weiterhin<br />
als »technische unterstützung« für nationalstaaten durch internationale akteure<br />
zu spezialisieren und infolgedessen auch zu de-politisieren. es gilt, haftungs- und<br />
schutzmechanismen für gehandelte Menschen in der Ära des ausgliederns nationalstaatlicher<br />
Kompetenzen auf private und oder internationale akteure zu sichern.<br />
dabei müssen vor allem zwei transformationen des identitätspolitischen Konzepts<br />
des »passiven Opfers« in Betracht gezogen werden:<br />
287 s. Osce-action-Plan http://www.osce.org/press_rel/2003/pdf_documents/07-3447-pc1.pdf<br />
sowie eu Mitteilung : http://eur-lex.europa.eu/lexuriserv/lexuriserv.do?uri=cOM:2005:0514:Fin:en:dOc<br />
288 Zu datenschutz und Menschenhandel siehe: Waltraud Kotschky: data Protection. in: Osce/Odihr: ensuring human rights<br />
Protection in countries of destination: Breaking the cycle of trafficking. Warsaw 2005. Page 99. http://www.osce.org/publications/<br />
odihr/2005/08/15919_434_en.pdf<br />
1. Vom »passiven Opfer« zu einer Definition von Ausbeutung<br />
die realität gehandelter Menschen ist sehr komplex: die Übergänge zwischen anwerbung,<br />
irregulärer oder auch regulärer Migration und informeller arbeit auf der<br />
einen seite sowie sklavereiähnlichen Praktiken, Zwangsarbeit und schuldknechtschaft<br />
auf der anderen seite sind oftmals fließend. die erweiterung des strafrechts<br />
auf eu-ebene von 2002 und in der Bundesrepublik deutschland von 2005, die<br />
Menschenhandel für alle ausbeuterische tätigkeiten definiert und nicht nur für<br />
sexuelle ausbeutung, fordert handlungsbedarf für alle Formen von Zwangsarbeit<br />
und ausbeuterischen tätigkeiten in unterschiedlichen arbeitssektoren 289 . Welche<br />
Kriterien für ausbeutung können jedoch festgelegt werden, ohne dass flächendeckende<br />
Mindestlohnstandards existieren, wie es zur Zeit noch in deutschland<br />
realität ist? die Frage der definition von »sexueller ausbeutung« ist ebenfalls im<br />
internationalen raum bisher noch ungeklärt.<br />
2. Vom »passiven Opfer« zur Trägerin von Menschen- und Bürgerrechten<br />
in einer Welt, die geprägt ist von zunehmender arbeitmigration und transnationalisierung<br />
von immigration und gleichzeitig den Menschenrechtschutz ausschließlich<br />
durch nationalstaaten verankert, plädiert seyla Benhabib für ein neues<br />
Konzept der »politischen Mitgliedschaft«, die unabhängig von territorialer Politik<br />
entworfen und eingefordert wird:<br />
»Ich mahne durchlässige Grenzen an, die eine Verwandlung der ersten Aufnahme<br />
in eine bürgerliche und danach politische Mitgliedschaft erlauben entlang eines<br />
Kontinuums von transparenten, öffentlich-artikulierten und verfassungsgemäßen<br />
Bedingungen«. 290<br />
289 s. den eu-rahmenbeschluss von 2002 : http://eur-lex.europa.eu/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod!celeXnumdo<br />
c&lg=en&numdoc=32002F0629&model=guichett<br />
290 Benhabib s. 424<br />
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