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FRAUENHANDELN IN DEUTSCHLAND - KOK

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148 <strong>IN</strong>TerNATIoNALeS<br />

<strong>IN</strong>TerNATIoNALe uNd euroPÄISCHe MeNSCHeNHANdeLSPoLITIKeN 149<br />

die einrichtung von runden tischen als entwurfs-, Überwachungs- und interventionsforum<br />

von strafverfolgungs- und schutzmaßnahmen unter teilnahme<br />

aller zivilgesellschaftlichen und staatlichen akteure basiert auf dem OsZe-Konnzept<br />

der national referral Mechanism. es wurde 2003 durch den ständigen rat der<br />

OsZe in Wien verabschiedet.<br />

das nrM-Konzept ist ein Versuch, auf menschenrechtlichen Prinzipien basierende<br />

standards für schutzmaßnahmen für gehandelte Menschen zu definieren<br />

und diese der Kakophonie von Geldgeberforderungen und eigenen regelwerken<br />

unterworfenen europäischen Vielfalt entgegenzustellen.<br />

Gleichzeitig basiert das Konzept der nrM auf der partizipatorischen Methode<br />

der stärkung nationaler staatlicher und nicht-staatlicher akteure. durch die einführung<br />

von runden tischen wird ein rahmen vorgeschlagen, der den zivilgesellschaftlichen<br />

dialog mit regierungsvertretern institutionalisiert und gleichzeitig die<br />

umsetzung der menschenrechtlichen schutzmaßnahmen überwacht. 278<br />

Multidisziplinäre runde tische wurden in den letzten Jahren auch von zwischen-<br />

staatlichen bzw. supranationalen strukturen, wie der europäischen union und dem<br />

europarat, als geeignetes Werkzeug erkannt, die umfangreichen Politikfelder der<br />

Menschenhandelsbekämpfungspolitik abzudecken und in lokale, nationale und internationale<br />

strategien zu übersetzen. so wurde 2003 eine sachverständigengruppe<br />

zur Bekämpfung von Menschenhandel durch die europäische Kommission eingerichtet,<br />

die in den Folgejahren die Maßnahmen der Kommission durch Berichte,<br />

stellungnahmen und bilaterale Gespräche begleitete. 279 in der tradition demokratischer<br />

teilhabe wurde die sachverständigengruppe nicht nur multi-national besetzt,<br />

es waren auch die verschiedenen relevanten sektoren, wie strafverfolgungsbehörden,<br />

zivilgesellschaftliche akteure der grass-root-ebene, Wissenschaft und<br />

internationale, vertreten.<br />

ein ergebnis dieses multi-disziplinären ansatzes ist ein umfangreicher Bericht<br />

der Gruppe an die Kommission, der 2004 an den damaligen Kommissar für inneres<br />

und Justiz Franco Frattini übergeben wurde. dieser Bericht versucht, einen menschenrechtlichen<br />

ansatz in konkrete politische Maßnahmen zu übersetzen, und<br />

fand in einigen Kommissionsinstrumenten ihren niederschlag. 280<br />

ein weiterer multi-disziplinärer runder tisch wird zur Zeit durch den europarat<br />

eingerichtet. eine »Group of experts on action against trafficking in human<br />

Beings« (Greta) soll die umsetzung der im Februar 2008 in Kraft getretenen europaratskonvention<br />

überwachen. 281 dieses sachverständigengremium wird durch diejenigen<br />

Mitgliedsstaaten der europaratskonvention berufen, die bereits die Konven-<br />

tion ratifiziert haben. anders als bei den Verhandlungen der Konvention, bei denen<br />

nGOs nur sehr bedingt bis gar nicht zu gelassen waren, ist im Greta-Mechanismus<br />

die expertise zivilgesellschaftlicher sachverständiger ausdrücklich erwünscht.<br />

278 das Konzept der nrM beruht auf den erfahrungen der anti-trafficking arbeit von 2001-2002 im rahmen der OsZe-Mission<br />

in Belgrad. ein im damaligen jugoslawischen innenministerium angesiedelter runder tisch zur Bekämpfung von Menschenhandel<br />

wurde 2001 initiiert und stellte das erste Forum im post-Milosevic-Jugoslawien, an dem Polizei und nicht-regierungsorganisationen<br />

sich regelmäßig in einem dialog zusammenfanden.<br />

die nrMs werden seit 2003 in zahlreichen ost- , südost- und westeuropäischen ländern initiiert. auch in teilen Zentralasiens und<br />

des Kaukasus wurden Machbarkeitsstudien und umsetzungsstrategien für nrMs entwickelt.<br />

279 s. Berichte und stellungnahmen der europäischen sachverständigengruppe: http://ec.europa.eu/justice_home/doc_centre/<br />

crime/trafficking/doc_crime_human_trafficking_en.htm#experts%20Group%20on%20trafficking%20in%20human%20Beings<br />

280 s. http://ec.europa.eu/justice_home/doc_centre/crime/trafficking/doc/report_expert_group_1204_en.pdf. der Bericht bildet<br />

auch die Grundlage für die Mitteilung der Kommission an den rat (2005) sowie den eu-aktionsplan (2005).<br />

281 informationen zu Greta und die europaratskonvention : http://www.coe.int/t/dg2/trafficking/campaign/default_en.asp<br />

Verzweifelt gesucht: gehandelte Menschen<br />

oder: diagnose »Menschenhandel«<br />

soziale und psychologische Zuschreibungen von charakter- und Verhaltensmustern<br />

von gehandelten Menschen sind bis heute eine der dominanten europäischer und<br />

internationaler Menschenhandelspolitik. Gleichzeitig berichten zahlreiche Beratungsstellen<br />

und Behörden in europa von einem deutlichen rückgang identifizierter<br />

gehandelter Menschen sowie deren ablehnung von unterstützungsangeboten. 282<br />

europäische und internationale akteure setzten daher in den letzten Jahren einen<br />

verstärkten Fokus auf das sammeln von daten und das »Profiling« gehandelter<br />

Menschen 283 :<br />

»Es ist wichtig zu verstehen, wer die gehandelten Opfer sind, sowie die ganze Skala<br />

der Menschenhandelserfahrung – von den Handelsrouten bis zu den Anwerbungspraktiken;<br />

Gründe für Menschenhandel bis zu Erfahrung des Menschenhandels; und<br />

die Erfahrungen der Erkennung und Unterstützung.« 284<br />

aufgrund der rückläufigen Zahlen von identifizierten gehandelten Menschen wurden<br />

in den letzten Jahren zahlreiche identifizierungsinstrumente und checklisten<br />

hauptsächlich für strafverfolgungsbehörden entwickelt. diese umfassen sowohl<br />

subjektive als auch objektive indikatoren, die auf einen gegebenen Menschenhandelsfall<br />

hinweisen können. 285<br />

Während solche Polizei-checklisten weiterhin auf stereotypisierung eines erwarteten<br />

Opferhabitus setzen (»ängstlicher, verstörter eindruck, anzeichen körperlicher<br />

Gewalt usw.«), ziehen andere identifizierungsinstrumente – wie ein<br />

kürzlich in norwegen entwickeltes Konzept – den gesamten Kontext des vermuteten<br />

Opfers in Betracht 286 . einem medizinischen diskurs folgend, können dort<br />

anhand eines Koordinatensystems die verschiedenen abstufungen verdächtigen<br />

Verhaltens eingetragen werden und in einem verschlüsselten Zahlensystem wird<br />

am ende die diagnose Menschenhandel »ja oder nein« ausgespuckt.<br />

auch die sammlung erhobener persönlicher daten von gehandelten Menschen<br />

spezialisiert sich immer mehr: in den entwickelten datenbanken von iOM und<br />

icMPd werden ausnahmslos die Profile gehandelter Menschen und die der Menschenhändler<br />

gesammelt. außen vor bleiben z. B. Profile von Konsumentinnen<br />

von dienstleistungen und arbeit gehandelter Menschen. suggeriert wird eine dem<br />

Kontext enthobene Beziehung zwischen Opfer und täter, der man nur mehr auf<br />

die spur kommen muss, um Profile zukünftiger Opfer und täter zu entwickeln,<br />

um damit das Verbrechen schon im Vorfeld bekämpfen zu können.<br />

interessanterweise liegt der quantitative und qualitative Fokus der datensammlungen<br />

auf dem Profil des Opfers. in dem icMPd datensammlungsinstrument<br />

282 Brunovskis, annette; surtees, rebecca: leaving the past behind? When victims of trafficking decline assistance. 2007 http://<br />

www.fafo.no/pub/rapp/20040/20040.pdf<br />

283 iOM betreibt eine weltweite datenbank mit persönlichen informationen zu gehandelten Menschen. s. http://www.iom.int/<br />

jahia/webdav/site/myjahiasite/shared/shared/mainsite/policy_and_research/research/data_and_research_on_human_trafficking.pdf;<br />

icMPd entwickelt in verschiedenen europäischen regionen Kriterien und software zur datensammlungen von Opfern<br />

und tätern von Menschenhandel icMPd: handbook on anti-trafficking data collection in south-eastern europe. developing<br />

regional criteria. 2008<br />

284 icMPd: handbook on anti-trafficking data collection in south-eastern europe. developing regional criteria. 2008 s.14<br />

285 s. z.B: die indikatoren-liste der hamburger Polizei in. Osce/Odihr :nrM<br />

286 siehe http://www.migrahel.no/verktoy/identifying_tool_2007.doc<br />

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