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FRAUENHANDELN IN DEUTSCHLAND - KOK

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74 PrAXIS<br />

MeNSCHeNHANdeL <strong>IN</strong> dIe SeXueLLe AuSBeuTuNg 75<br />

rückkehr in Gefahr wären. dann können sie einen aufenthalt nach § 25. abs. 3.<br />

aufenthG beantragen, wozu sie eine konkrete Gefährdung darlegen müssen. dies<br />

gestaltet sich jedoch in der regel äußerst schwierig. Für Beratungsstellen ist es kaum<br />

möglich, die situation in den verschiedenen herkunftsländern einzuschätzen und<br />

ihre einschätzung zu belegen. Für die Polizei stellt es ein großes Problem dar, etwas<br />

zu bestätigen, was eventuell passieren könnte, wofür es aber keine konkreten<br />

Beweise gibt. entsprechende nachweise wären aber für die entscheidung des Bundesamtes<br />

für Migration und Flüchtlinge (BaMF) erforderlich. Betroffene von Mh<br />

sind in der regel nicht von staatlicher Gewalt betroffen, sondern von Gewalt von<br />

seiten einzelner, die allerdings in ländern agieren, wo der staat möglicherweise<br />

seiner schutzpflicht gegenüber den Frauen nicht nachkommt. die Überprüfung<br />

der Gefährdung erfolgt jährlich, bis die ehemalige Betroffene von Menschenhandel<br />

nach acht Jahren einen anspruch auf dauerhaften aufenthalt erworben hat.<br />

neben der schwierigkeit, acht Jahre lang einen zuständigen Beamten zu finden,<br />

der weiterhin die einschätzung der Gefährdung teilt, kommt als psychologisches<br />

Problem hinzu, dass es für die Frauen sehr belastend ist, weiterhin als Opfer von<br />

Mh gelten zu müssen. der einzige andere Weg wäre ein aufenthalt nach § 25 abs.<br />

4 satz 2. aufenthG, dessen erteilung erfordert allerdings dass »auf Grund besonderer<br />

Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebietes für den Ausländer<br />

eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde«. der Vorteil dieses titels ist, dass das<br />

BaMF hierzu nicht befragt werden muss.<br />

auch die Frauen, die im laufe der Wartezeit einen deutschen oder einen legal<br />

in deutschland lebenden Partner heiraten, begeben sich in eine abhängigkeit, die<br />

eine schwere Belastung für die Beziehung darstellen kann. nach § 31aufenthG<br />

müssen sie zumindest zwei Jahre nach ausstellung ihres – von der ehe abhängigen –<br />

aufenthaltsstatus, mit ihrem ehepartner zusammenleben und dies im Zweifel<br />

nachweisen können. sollte die ehe vor ablauf dieser Zeit scheitern, müssen die<br />

Frauen ausreisen, es sei denn, die Fortsetzung der ehe hätte »eine besondere härte«<br />

bedeutet. diese müssen sie allerdings nachweisen, was in der Praxis sehr schwierig<br />

ist. der einzige wirklich sichere aufenthaltstatus nach der Gerichtsverhandlung<br />

bestünde, wenn die Frau ein Kind mit einem deutschen oder einem legal<br />

in deutschland lebenden Migranten hätte. Viele Betroffene von Menschenhandel<br />

wollen in diesem lebensabschnitt aber keine Kinder bekommen.<br />

aus der darstellung der lebensbedingungen Betroffener von Menschenhandel<br />

wird deutlich, dass es für viele Frauen keine wirkliche alternative ist, sich als<br />

Zeugin in einem Menschenhandelsverfahren zur Verfügung zu stellen. Zum einen<br />

gefährden sie sich und ihre Familien durch die aussagen zusätzlich, zum anderen<br />

aber verlieren sie wichtige lebenszeit, die sie besser im aufbau einer neuen Perspektive<br />

im herkunftsland nutzen wollen. das resultat für die strafverfolgung<br />

ist deutlich: es gibt immer weniger strafverfahren wegen Menschenhandels in der<br />

Bundesrepublik. es gibt leider keinen Grund anzunehmen, dass es sich hierbei um<br />

eine rückentwicklung des Phänomens in deutschland handelt. Vielmehr scheint<br />

das, was der staat den Betroffenen anzubieten bereit ist, nicht ausreichend zu sein.<br />

italien stand offenbar vor 10 Jahren vor ähnlichen Problemen und hat beschlossen,<br />

diese anders zu lösen; die Zahl der Verfahren gegen Mh ist entsprechend deutlich<br />

gestiegen.<br />

in italien – wo auch das legalitätsprinzip gilt – ist der aufenthaltstitel von Betroffenen<br />

des Menschenhandels weitestgehend abgekoppelt von ihrer eigenschaft<br />

als Zeugin in einem strafverfahren. um ein Bleiberecht für zunächst 6 Monate zu<br />

bekommen, müssen Betroffene einfache angaben bei der Polizei machen, die es der<br />

Polizei ermöglichen nachzuprüfen, ob es sich tatsächlich um Betroffene von Menschenhandel<br />

handelt. Mit der Feststellung der Viktimisierung erhalten Betroffene<br />

einen befristeten aufenthaltstitel. dieser wird verlängert, wenn die Betroffene sich<br />

integrationsbereit zeigt, und kann in einen unbefristeten umgewandelt werden,<br />

wenn sie sich in den arbeitsmarkt integriert hat. Mit dem festen titel gelten für<br />

Betroffene von Menschenhandel dieselben gesetzlichen regelungen wie für andere<br />

Migrantinnen. 114 die Verteidiger der täterinnen versuchen in deutschland immer<br />

wieder vor Gericht Zeuginnen zu unterstellen, sie würden nur aussagen, um sich<br />

einen aufenthalt zu »erschleichen«. Wenn alle Opfer von Mh – unabhängig davon,<br />

ob sie aussagen oder nicht – einen aufenthaltstitel haben, können Verteidiger diese<br />

für die Glaubwürdigkeit der Zeuginnen sehr belastende strategie nicht mehr gegen<br />

sie einsetzen. einige staaten lehnen ein system wie in italien ab, weil sie befürchten,<br />

dass einige Migrantinnen sich auf diesem Wege legalisieren werden. antislavery<br />

international weist darauf hin, dass dies in italien nicht stattgefunden hat. 115<br />

Instrumentalisierung des themas Menschenhandel<br />

Menschenhandel – insbesondere zum Zwecke der sexuellen ausbeutung – ist ein<br />

thema, das große politische aufmerksamkeit genießt und offensichtlich Projektionsfläche<br />

für unterschiedlichste ansinnen bietet. Gegnerinnen des Prostitutionsgesetzes<br />

zum Beispiel nutzen das thema Menschenhandel um die legalisierung<br />

von Prostitution zu bekämpfen. sie argumentieren, dass das Prostitutionsgesetz die<br />

Bekämpfung des Menschenhandels erschwere. dass dies nicht der Fall ist, wird in<br />

der von der Bundesregierung im auftrag gegebenen evaluierung des Prostitutionsgesetzes<br />

deutlich. 116<br />

dadurch, dass in der Praxis fast ausschließlich Migrantinnen Opfer von Menschenhandel<br />

sind, wird dem thema eine große migrationspolitische Bedeutung beigemessen,<br />

und es wird benutzt, um Migration zu bekämpfen oder zu erschweren.<br />

dies bestätigt sich leider immer wieder – zuletzt im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft<br />

– als man nach absurden schätzungen befürchtete, dass zur WM bis zu<br />

40.000 »Zwangsprostituierte« nach deutschland kommen würden. Während von<br />

einigen schon vor der WM deutlich gemacht wurde, dass diese Vermutung absurd<br />

ist, 117 waren viele hiervon nicht zu überzeugen. Vielmehr wurde die debatte von politischer<br />

seite zum anlass genommen, darüber nachzudenken, ob es nicht sinnvoll<br />

wäre, »ein vorübergehendes Visum für alle Drittländer wiedereinzuführen, die mögliche<br />

Herkunftsländer im Handel mit Frauen und Kindern sind.« 118 dieser Vorschlag<br />

stammte von Franco Frattini, dem damaligen eu-Justizkommissar. nach einigen<br />

tagen hat er diese Forderung nach entsprechendem druck zurückgenommen und<br />

sich entschuldigt. dennoch ist dies ein gutes Beispiel für den irrglauben, dass einreiserestriktionen<br />

eine geeignete Maßnahme zur Prävention von Mh sein können.<br />

114 Zur ausführlichen darstellung des italienischen systems siehe Prasad, nivedita 2005<br />

115 Vgl. Pearson 2002<br />

116 Bundesministerium für Familie, senioren, Frauen und Jugend 2007, 2007. s. 80<br />

117 siehe hierzu Prasad/rohner 2006, text ist vor der WM mehrfach veröffentlicht worden.<br />

118 »eu-Kommission will Visapflicht gegen Prostitution bei Fußball-WM;« in: www.rhein-main.net/sixcms/list.php?page=fnp2_<br />

news_article&id=2822990 letzter Zugriff: 8.3.2006<br />

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