09.01.2013 Aufrufe

FRAUENHANDELN IN DEUTSCHLAND - KOK

FRAUENHANDELN IN DEUTSCHLAND - KOK

FRAUENHANDELN IN DEUTSCHLAND - KOK

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

156 ZuSAMMeNFASSuNgeN uNd PerSPeKTIveN<br />

ZuSAMMeNFASSuNg uNd PerSPeKTIveN 157<br />

Aufenthaltstitel:<br />

die so genannte Bedenkfrist für Betroffene von Menschenhandel (§ 50 abs. 2a<br />

aufenthG) beträgt einen Monat und soll den Betroffenen dazu dienen, sich zu<br />

stabilisieren und zu entscheiden, ob sie mit den strafverfolgungsbehörden kooperieren<br />

wollen. die Praxis zeigt jedoch, dass diese Zeit für eine stabilisierung und<br />

wohlüberlegte entscheidung zu kurz ist.<br />

nach § 25 abs. 4a aufenthaltsG kann Betroffenen von Menschenhandel, die<br />

aus drittstaaten kommen, ein vorübergehender aufenthalt gewährt werden, wenn<br />

sie sich als Opferzeuginnen zur Verfügung stellen. Problematisch ist in der Praxis<br />

aber, dass dieser laut Gesetzestext erteilt werden kann, aber nicht muss, die zuständigen<br />

sachbearbeiterinnen treffen die endgültige entscheidung. Für die Betroffenen<br />

wäre es aber im sinne eines effektiven Opferschutzes notwendig, verbindlich<br />

zu wissen, ob ihnen in dieser Zeit ein aufenthaltstitel gewährt wird. nötig wäre<br />

also statt einer ermessensentscheidung ein rechtmäßiger anspruch.<br />

Wenn sich die Betroffenen nicht als Zeuginnen in dem strafverfahren zur Verfügung<br />

stellen, erhalten sie keine aufenthaltserlaubnis und müssen wieder ausreisen.<br />

der aufenthaltstitel ist demzufolge an die Kooperationsbereitschaft gebunden.<br />

Zusätzlich kann es vorkommen, dass eine Betroffene zwar aussagen macht, diese<br />

sich aber als nicht ausreichend für die einleitung eines Verfahrens herausstellen,<br />

auch in diesem Fall wird der aufenthalt nicht gewährt. Zu diesem Zeitpunkt hat<br />

die Person sich aber in vielen Fällen bereits durch die bereits gemachten angaben<br />

gefährdet. die regelung des § 25 absatz 4 a aufenthG kann zu einer instrumentalisierung<br />

der Frauen führen, da nicht das Wohlergehen der Betroffenen, sondern<br />

die effektivität der strafverfolgung alleiniger Grund für die erteilung eines aufenthaltstitels<br />

ist.<br />

ein weiterer Kritikpunkt ist der fehlende Zugang zu ausbildungs- und arbeitsmöglichkeiten<br />

für die Betroffenen während dieser Zeit. Wenn sie sich als Opferzeuginnen<br />

zur Verfügung stellen, kann es mitunter Jahre dauern, bis ein Prozess<br />

abgeschlossen ist. Während dieser Zeit ist es für die persönliche situation und die<br />

entwicklung von Zukunftsperspektiven für die Betroffenen wichtig, die Möglichkeit<br />

zu haben, eine ausbildung zu absolvieren oder zu arbeiten. die umsetzung<br />

dessen gestaltet sich in der Praxis aber oft schwierig, da der unsichere und begrenzte<br />

aufenthaltstitel der Betroffenen potentielle arbeitgeberinnen abschreckt<br />

oder Bildungsabschlüsse nicht anerkannt werden.<br />

Zudem wird ein aufenthaltsrecht lediglich für die dauer des Prozesses gewährt.<br />

nach abschluss des Prozesses müssen die Betroffenen in der regel ausreisen. Viele<br />

Frauen möchten zwar in ihr herkunftsland zurückreisen. allerdings gibt es auch<br />

Frauen, die nicht zurückreisen wollen oder aber nicht zurückreisen können, beispielsweise<br />

aufgrund der Gefährdung durch die in deutschland gemachte aussage<br />

gegen die täterinnen. um ein aufenthaltsrecht in deutschland zu bekommen,<br />

muss die konkrete bestehende Gefährdung im herkunftsland nachgewiesen werden.<br />

Bei der einschätzung der Gefährdungslage werden das jeweilige lKa oder das<br />

BKa abhängig davon, wer das Verfahren geführt hat, eingebunden. die entscheidung<br />

liegt dann beim BaMF. um ein dauerhaftes Bleiberecht zu erhalten, muss<br />

das Bestehen einer Gefährdung über mehrere Jahre immer wieder nachgewiesen<br />

werden, was in der Praxis, beispielsweise aufgrund von personellen Veränderungen<br />

in den zuständigen Behörden, sehr schwierig ist. in anbetracht der Menschenrechtsverletzungen,<br />

die Betroffene von Menschenhandel in deutschland erlitten<br />

haben, tritt der <strong>KOK</strong> für ein fortführendes aufenthaltsrecht aus humanitären<br />

Gründen, unabhängig von der Zeuginneneigenschaft, und auch nach abschluss<br />

des Prozesses ein.<br />

in Bezug auf Fälle, in denen Migantinnen nach deutschland in die ehe vermittelt<br />

oder zwangsverheiratet werden und von Gewalt in der ehe betroffen sind,<br />

und/oder aus humanitären, kulturellen und/oder religiösen Gründen nicht in ihr<br />

heimatland zurückkehren können, fordert der <strong>KOK</strong> einen eheunabhängigen aufenthaltsstatus,<br />

auch wenn die ehe vor ablauf von zwei Jahren gescheitert ist. die<br />

bestehende härtefallregelung nach § 31 absatz 2 aufenthG sollte hier angewendet<br />

werden.<br />

Neu-EU-Bürgerinnen:<br />

eine weitere Problematik, die in den letzten Jahren auch aufgrund der politischen<br />

Veränderungen in europa für die Praxis immer gravierender wird, betrifft die<br />

Versorgung von neu-eu-Bürgerinnen, die Opfer von Menschenhandel geworden<br />

sind. hier bestehen erhebliche unsicherheit und regionale unterschiede bei der<br />

leistungsgewährung seitens der Behörden. auch in diesem Bereich besteht handlungsbedarf:<br />

rechtliche unsicherheiten müssen geklärt und eine einheitliche Praxis<br />

zugunsten der Betroffenen geschaffen werden.<br />

Schadensersatzansprüche und ausstehende Löhne:<br />

aufgrund tatsächlicher und rechtlicher hindernisse werden schadensersatzansprüche<br />

der Betroffenen von Menschenhandel in der Praxis oft nicht durchgesetzt.<br />

dabei haben die Betroffenen rechtlich anspruch auf entschädigungszahlungen<br />

oder auf auszahlung einbehaltener löhne. hier stehen oft auch die Gewichtung<br />

der Prioritäten im strafverfahren oder unklare Zuständigkeit der durchsetzung<br />

dieses rechts im Wege. daher sind die defizite zu ermitteln, konkret zu benennen<br />

und strategien zu deren Überwindung zu entwickeln.<br />

insgesamt ist festzustellen, dass dem Opferschutz in deutschland bisher nicht in<br />

ausreichendem Maße rechnung getragen wird. das hauptinteresse der rechtlichen<br />

rahmenbedingungen und der beteiligten Behörden ist nach wie vor die strafverfolgung.<br />

im rahmen der strafverfolgung und damit im strafrechtlichen Verfahren<br />

haben die Betroffenen immer wieder Kontakt zur Polizei, staatsanwaltschaft und<br />

richterschaft. um die situation für die Betroffenen zu erleichtern, aber auch um<br />

die arbeit und Kräfte der Polizei und Justiz zu bündeln, ist es daher notwendig,<br />

dass sowohl bei der Polizei als auch bei der staatsanwaltschaft schwerpunktdienststellen<br />

geschaffen werden, die mit ausreichend qualifiziertem Personal ausgestattet<br />

sind. die schaffung von spezialisierten staatsanwaltschaften gewährleistet, dass<br />

eine Zuständigkeit nicht nach den namen der Beschuldigten erfolgt, sondern<br />

nach dem deliktstatbestand. damit wird unterstützt, dass bei der Verurteilung<br />

nicht auf andere tatbestände ausgewichen wird und ein besserer umgang mit der<br />

schwierigen Beweislage möglich ist. Mit der schaffung von polizeilichen schwerpunktdienststellen<br />

können die Kräfte besser gebündelt und eine sensibilisierung<br />

der Behörden gewährleistet werden. notwendig ist es in diesem Zusammenhang<br />

auch, eine lange Verfahrensdauer für die Betroffenen zu vermeiden, da die psychische<br />

Belastung und damit die Gefahr einer retraumatisierung für diese sehr<br />

groß sind.<br />

7

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!