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FRAUENHANDELN IN DEUTSCHLAND - KOK

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44 reCHTSLAge<br />

reCHTLICHe gruNdLAgeN deS PHÄNoMeNS FrAueNHANdeL 45<br />

bild-ton-aufzeichnung einer Zeugenvernehmung<br />

die Möglichkeit, im strafprozess frühere richterliche Vernehmungen der Zeugin<br />

oder des Zeugen, die audiovisuell aufgezeichnet wurden, anstelle der persönlichen<br />

Vernehmung bei der mündlichen Verhandlung im Gerichtssaal vorzuspielen, besteht<br />

auch für die straftaten von Menschenhandel (§ 255a abs. 2 satz 1 stPO).<br />

Voraussetzung ist, dass der oder die angeklagte(n) und der Verteidiger oder die<br />

Verteidigerin Gelegenheit hatten, bei der aufzeichnung der Vernehmung mitzuwirken.<br />

die regelung durchbricht den im strafverfahren vorrangigen Grundsatz<br />

der unmittelbarkeit, ihre anwendung in der Praxis blieb bisher die ausnahme. 49<br />

Gewinnabschöpfung<br />

im Menschenhandelsprozess haben die strafverfolgungsbehörden umfassende<br />

Möglichkeiten, nach den Verfallsvorschriften der §§ 73, 73a und 73d stGB von<br />

den tätern Vermögenswerte im in- und ausland zu erheben und sicherungsmaßnahmen<br />

einzuleiten. es handelt sich um ausgleichsmaßnahmen der Gewinnabschöpfung<br />

und damit um ausgleich unrechtmäßiger Vermögensverschiebungen. 50<br />

die abschöpfung des illegitimen Vermögensvorteils aus der tat fließt regelmäßig in<br />

die staatskasse. dies gilt nicht, wenn Verletzte aus der tat ansprüche gegen den täter<br />

haben, deren erfüllung dem täter den Wert des aus der tat erlangten entziehen<br />

würde (vgl. § 73 abs. 1 s. 2 stGB). Frauen, die z.B. durch Zuhältereihandlungen des<br />

täters betroffen sind, sind Verletzte im sinne der Vorschrift. 51 nach § 111b abs. 5<br />

stPO könnten ihnen die strafverfolgungsbehörden mit der sog. rückgewinnungshilfe<br />

52 den Zugriff auf die ansprüche schon im ermittlungsverfahren sichern.<br />

Bewegliche sachen (z.B. Geld), die beschlagnahmt oder sonst sichergestellt wurden,<br />

sollen an die namentlich bekannten tatverletzten herausgegeben werden, wenn<br />

keine ansprüche dritter entgegenstehen und die sachen für die Zwecke der strafverfolgung<br />

nicht mehr benötigt werden (vgl. § 111k stPO). Zur Geltendmachung<br />

von ansprüchen müssen Geschädigte aktiv werden und entsprechende anträge<br />

stellen. aber obwohl der schädiger alles erlangte, z.B. den einbehaltenen anteil<br />

am Verdienst der Zwangsprostituierten, aus dem rechtswidrig begangenen Menschenhandel<br />

auszugleichen hat, profitieren in der Praxis Opferzeuginnen in den<br />

seltensten Fällen von den gesetzlichen Möglichkeiten. dafür gibt es unterschiedliche<br />

Gründe. sei es, dass die rechte nicht bekannt waren, kein antrag gestellt oder<br />

Verjährungsfristen nicht beachtet wurden (vgl. § 111i stPO, drei Monate). sei es,<br />

dass bei der razzia in räumen des täters oder beim Zugriff auf sein Konto keine<br />

oder nur geringe Vermögenswerte zu finden waren oder dass nicht alles Vermögen,<br />

das der täter besitzt, tat- und anklagespezifisch zugeordnet und somit abgeschöpft<br />

werden konnte. es kann sich auch um Vermögenswerte anderer Geschädigter handeln,<br />

wie z.B. diebesgut aus einem einbruchsdiebstahl. Oftmals können aber auch<br />

nicht die Geschädigten ermittelt werden.<br />

49 Z.B. wenn die Zeugin bereits ausgewiesen wurde oder auf eigenen Wunsch in das heimatland zurück kehrte und auf ladung<br />

des Gerichts nicht nach deutschland reist.<br />

50 dr. Johann Podolsky anlässlich der Klausurtagung »Gemeinsam Menschenhandel zum Zweck der sexuellen ausbeutung<br />

bekämpfen, Kooperation intensivieren und Finanzen sichern« am 25./26.1.2006 in Berlin.<br />

51 BGh nstZ 2003, 533; BGh 2 str 312/04 Beschluss vom 6.10.2004.<br />

52 Vgl. BGh JZ 1984, s. 683.<br />

strafverfolgung und aufenthaltsrecht der opferzeuginnen<br />

Bei Opfern von Menschenhandel handelt es sich größtenteils um Frauen aus Mittel-<br />

und Osteuropa. reisen Frauen aus drittstaaten mit touristenvisum nach<br />

deutschland ein und gehen sie hier der Prostitution nach, verstoßen sie gegen ausländerrechtliche<br />

Vorschriften. denn ein regelmäßig auf drei Monate begrenztes<br />

touristenvisum berechtigt nicht zur arbeitsaufnahme. Menschenhändler nutzen<br />

diese situation gerne aus und setzen die Betroffenen mit ihrem dann rechtswidrigen<br />

aufenthaltsstatus unter druck. Wurden Frauen bei razzien aufgegriffen,<br />

drohte ihnen eine schnelle abschiebung. dies hatte auf das anschließende strafverfahren<br />

gegen die Menschenhändler mangels Zeugen negative auswirkungen bis<br />

hin zu Verfahrenseinstellungen.<br />

seit august 2007 hat sich mit der umsetzung des richtlinienumsetzungsgesetzes<br />

53 die aufenthaltsrechtliche lage für Opfer von Menschenhandel etwas verändert.<br />

angehörige von drittstaaten erhalten als anreiz für eine Kooperation mit<br />

den strafverfolgungsbehörden einen zeitlich befristeten aufenthaltstitel aus humanitären<br />

Gründen. Für ihre entscheidung, ob sie kooperieren und als Zeugin<br />

zur Verfügung stehen möchten, wird der Betroffenen zunächst eine mindestens<br />

einmonatige Bedenkzeit eingeräumt 54 . entscheidet sie sich zur Kooperation, erhält<br />

sie trotz der vollziehbaren ausreisepflicht eine vorübergehende aufenthaltserlaubnis<br />

nach § 25 abs. 4 a aufenthaltsgesetz (aufenthG) 55 , wenn ihre anwesenheit im<br />

Bundesgebiet von der staatsanwaltschaft als sachgerecht befürwortet wird, sie die<br />

Verbindung zu dem Beschuldigten abgebrochen hat und bereit ist, auszusagen. die<br />

aufenthaltserlaubnis wird auf sechs Monate erteilt. es bedarf für eine Verlängerung<br />

jeweils der Befürwortung der ermittelnden staatsanwaltschaft. nach dreimaliger<br />

Verlängerung (18 Monate aufenthalt) soll die aufenthaltserlaubnis über ein Jahr<br />

erteilt werden. in der Praxis blieb es bisher meist beim sechsmonatigen turnus.<br />

nach abschluss des strafverfahrens wird die ausreisepflicht ausgesetzt, wenn<br />

durch die ausreise der Opferzeugin in ihr heimatland erhebliche Gefahr für leib<br />

oder leben besteht. sie erhält bis auf weiteres einen abschiebeschutz. die Gefährdungslage<br />

wird vom zuständigen landeskriminalamt auf der Basis von erkenntnissen<br />

aus dem täterumfeld eingeschätzt.<br />

strafanzeige und absehen von Verfolgung ausländerrechtlicher<br />

delikte<br />

nach Verlautbarungen des Bundesministeriums der Justiz vom 28. Oktober 2004<br />

soll es für Opfer von Menschenhandel nunmehr einfacher sein, eine strafanzeige<br />

gegen ihre Peiniger zu erstatten. strafrechtliche ermittlungen, die sich auf mögliche<br />

ausländerrechtliche Verstöße des Opfers selbst beziehen, können leichter eingestellt<br />

werden. Bei Opfern einer nötigung oder erpressung – das ist bei Opfern<br />

von Menschenhandel regelmäßig der Fall – bietet § 154c abs. 2 stPO der staatsan-<br />

53 richtlinienumsetzungsgesetz v. 28.8.2007 (BGBl. i s. 1970 v. 27.8.2007).<br />

54 diese Bedenkfrist bestand schon vor 2007, wurde allerdings nur durch eine Verwaltungsvorschrift geregelt. seit 2007 ist die<br />

Gewährung einer Bedenkfrist von mindestens einem Monat in § 50 abs. 2a aufenthaltsgesetz gesetzlich festgeschrieben.<br />

55 Gesetz über den aufenthalt, die erwerbstätigkeit und die integration von ausländern im Bundesgebiet (aufenthaltsgesetz –<br />

aufenthG) v. 30.7.2004, verkündet als art. 1 des Gesetzes zur steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur regelung des<br />

aufenthalts und der integration von unionsbürgern und ausländern (ZuwanderungsG) v. 30.7.2004 (BGBl. i, s. 1950).<br />

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