FRAUENHANDELN IN DEUTSCHLAND - KOK
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78 PrAXIS<br />
FrAueNHANdeL ZuM ZweCK der AuSBeuTuNg der ArBeITSKrAFT 79<br />
riger Kinder sowie alter und kranker Familienangehöriger sind, ist die Motivation,<br />
vorübergehend im ausland zu arbeiten, sehr stark. die anwerbung für eine arbeit<br />
im haushalt oder in der Gastronomie erfolgt meistens durch (z.B. auch Familien-)<br />
netzwerke sowohl in deutschland als auch im heimatland oder mittels unseriöser<br />
anzeigen für arbeitsangebote. häufig leben betroffene Migrantinnen im haushalt<br />
der arbeitgeber oder arbeitgeberinnen und werden von ihnen kontrolliert.<br />
Oft wird es den betroffenen Frauen erst allmählich über einen längeren Zeitraum<br />
bewusst, dass sie perfide ausgebeutet werden, d.h. zu Beginn glauben sie noch<br />
an einen guten Verdienst, glauben den Versprechungen, bald die auszahlung zu bekommen,<br />
bis sie feststellen müssen, dass sie kein Geld bekommen und dann bedroht<br />
werden. auch ins heimatland zurückkehren können sie nicht, weil sie kein Geld für<br />
die Fahrkarte haben. die Frage ist, an welchem Punkt das Beschäftigungsverhältnis<br />
in nötigung oder Zwang umschlägt. es beginnt oft mit indirekten drohungen, oft<br />
in Verbindung mit Betrug und täuschung, wie das folgende Beispiel zeigt.<br />
Fallbeispiel I<br />
elena lernte herrn Y. in ihrem heimatland rumänien kennen. sie stellte ihn<br />
ihren eltern vor und ging mit ihm nach deutschland, wo sie in seinem türkischen<br />
café arbeitete. auch ihre Freundin ohne deutschkenntnisse kam nach<br />
deutschland, um in dem café Geld zu verdienen. Beiden wurde ein monatlicher<br />
lohn von 500 euro als Bedienung versprochen. die tägliche arbeitszeit betrug<br />
zwischen 12 und 16 stunden, einen lohn erhielten sie aber nicht. daraufhin<br />
wollte die Freundin von elena nach rumänien zurückkehren. die auseinandersetzung<br />
über die rückreise und die auszahlung des lohnes spitzte sich zu, und<br />
herr Y und sein Freund versuchten, sie durch schläge und die androhung, sie<br />
umzubringen, so einzuschüchtern, damit sie weiterhin im lokal arbeitet. nach<br />
dem ersten missglückten Fluchtversuch nahm er ihr sämtliche ausweispapiere<br />
ab. dann zwangen beide Männer sie durch schläge und durch Bedrohung mit<br />
einem Messer zur unterzeichnung eines schuldscheins über 15.000 euro. am<br />
nächsten tag gelang ihr die Flucht und sie erstattete anzeige. elena wurde unterdessen<br />
gedroht, sie umzubringen, wenn die Freundin nicht zurückkehrt. die<br />
Polizei befreite sie aus dieser situation.<br />
die jungen Frauen standen unter schock, die Freundin von elena hatte von<br />
dem angriff mit dem Messer rote striemen am hals. elena konnte es nicht fassen<br />
und sagte, herr Y habe in ihrem elternhaus »Brot von unserem tisch« gegessen,<br />
er könne sie doch nicht betrügen. sie hatte geglaubt, er würde sie heiraten.<br />
Beiden Frauen konnte die Beratungsstelle JadWiGa mit Betreuung, unterkunft<br />
und Begleitung zu Vernehmungen, Behörden und Ämtern helfen. ein Versuch,<br />
den noch ausstehenden lohn zu erhalten, scheiterte und sie kehrten mit leeren<br />
händen nach hause zurück. Zu dem strafprozess im darauf folgenden Jahr reiste<br />
elena wieder nach deutschland. Beide täter legten ein Geständnis ab und zahlten<br />
noch im Gerichtssaal durch ihre Familienangehörigen an jedes Opfer 2500 euro<br />
zum Zweck der schadenswiedergutmachung. es kam zu einer Verurteilung wegen<br />
schwerer räuberischer erpressung mit gefährlicher Körperverletzung, nötigung<br />
und Freiheitsberaubung zu 5 Jahren und 6 Monaten bzw. zu 5 Jahren und 3 Monaten.<br />
Betroffenen von arbeitsausbeutung in Privathaushalten gelingt es oft erst nach<br />
längerer Zeit sich selbst zu befreien und zu fliehen. auch wenn sie durch rohe drohungen<br />
zuvor eine hohe angstbarriere aufgebaut haben, werden schließlich die<br />
körperlichen wie seelischen strapazen schlimmer als die angst vor Konsequenzen<br />
und sie wagen die Flucht. diesen schritt ergreifen die Opfer im letzten augenblick,<br />
meistens nach massiver Gewalt und wenn ihnen klar wird, dass sie nicht einen<br />
Bruchteil des erhofften und versprochenen Geldes für ihre schwere arbeit bekommen<br />
werden.<br />
erfahrungen und Berichte aus der Praxis zeigen, dass zunehmend auch Frauen<br />
vor allem aus den osteuropäischen neu-eu-staaten als reinigungskräfte, ernte-<br />
helferinnen, Zeitungsausträgerinnen etc. angeworben werden. in deutschland<br />
angekommen, befinden sie sich in einer Zwangslage durch »reiseschulden« und<br />
durch ihre sprachunkenntnis sowie fehlender Mittel zur rückkehr. sie leben häufig<br />
in verwahrlosten menschenunwürdigen »unterkünften« mit vielen in einem<br />
raum, bekommen nicht genug zu essen und haben keine Privatsphäre. sie putzen<br />
von morgens bis abends als Zimmermädchen oder in Putzkolonnen, scheuern<br />
sich an schmutzigen teppichen und scharfen reinigungsmitteln ihre hände wund.<br />
Meist sind sie nicht sozial- und krankenversichert.<br />
Fallbeispiel II<br />
eine »ausbeutung de luxe«, wie eine Münchner tageszeitung 121 als schlagzeile<br />
schrieb, brachte den Zimmermädchen aus rumänien und Bulgarien in mehreren<br />
sterne-hotels wie hilton und sheraton bei Zimmerpreisen von 300, 400<br />
euro nur 2,50 euro pro stunde bar auf die hand. durch eine Kontrolle des Zolls<br />
wurde die ausbeutung entdeckt.<br />
in mehreren Beratungsgesprächen mit fünf bulgarischen Frauen im alter<br />
von 25 bis 50 Jahren zeigte sich ihre persönliche lebenssituation. trotz des<br />
sehr niedrigen lohns fühlten sie sich nicht als Opfer, sondern um ihren kargen<br />
Verdienst betrogen, der nicht ganz ausbezahlt wurde. Mit zusätzlichen Jobs<br />
konnten sie und ihre Familien überleben. Mit einem ausgefüllten aOK-Formular<br />
wurde ihnen suggeriert, krankenversichert zu sein. als die eine der Frauen<br />
einen schwächeanfall erlitt und mit dem Verdacht auf eine herzerkrankung in<br />
die Klinik kam, entstand durch den aufenthalt im Krankenhaus und die untersuchungen<br />
eine rechnung von 3000 euro. durch eine razzia hat sie die arbeit<br />
verloren und weiß nicht, wie sie die schulden bezahlen soll. auch eine Zahlung<br />
von 150 euro für jede Frau durch die hotels für die rückreise ins heimatland<br />
erleichtert ihre situation nicht. in ihrem heimatland gibt es keine arbeit für sie,<br />
doch ihre Familien, Kinder und eltern sind auf ihr einkommen angewiesen.<br />
die ausnützung der arbeitskraft im reinigungsgewerbe hat system. die hotels<br />
beauftragen Fremdfirmen, diese arbeiten mit subunternehmern, die wiederum<br />
vermeintlich selbständig tätige Frauen aus den neuen eu-ländern einsetzen. als<br />
selbständige haben die Frauen keinen anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn,<br />
der bei 8,15 euro liegt. doch auch ein sehr karger lohn wird ihnen nicht vollständig<br />
ausbezahlt. Kleinere Beträge müssen sie sich nicht selten erbetteln.<br />
121 Münchner abendzeitung v. 17.01.2008<br />
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