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FRAUENHANDELN IN DEUTSCHLAND - KOK

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54 reCHTSLAge<br />

reCHTLICHe gruNdLAgeN deS PHÄNoMeNS FrAueNHANdeL 55<br />

§ 234 stGB (Menschenraub), § 223 stGB (Körperverletzung), § 240 stGB (nötigung)<br />

oder aber nach § 15 a aÜG und § 406 sGB iii verurteilen.<br />

die bisherige Bedeutungslosigkeit des § 233 stGB in der Praxis liegt zum einen<br />

sicherlich an der mangelnden sensibilisierung der ermittelnden Behörden und der<br />

erkennenden Gerichte. darüber hinaus sind »schuldknechtschaft« und »ausbeuterisches<br />

arbeitsverhältnis« begrifflich schwer zu fassen. aber auch die Beweisführung<br />

ist schwierig.<br />

Bei saisonarbeitsverhältnissen scheitert die annahme einer schuldknechtschaft<br />

schon an dem Merkmal der »jahrelangen abhängigkeit«. Für die annahme eines<br />

»ausbeuterisches arbeitsverhältnis« bedarf es eines auffälligen Missverhältnisses<br />

der vorgefundenen und zu beweisenden faktischen arbeitsbedingungen zu einer<br />

entsprechenden Vergleichsgruppe. die ermittlungsbehörden und Gerichte müssen<br />

hierzu eine umfangreiche abwägung vornehmen. das ist schon schwierig für<br />

ein arbeitsgericht, für ein strafgericht noch weitaus mehr.<br />

Je komplexer die Materie und schwieriger die Beweisführung, desto leichter ist<br />

ein urteil im Wege des rechtsmittels angreifbar. so ist nachvollziehbar, dass die<br />

strafgerichte auf altbewährte tatbestände wie den Wucher, den Menschenraub,<br />

die Körperverletzung oder die nötigung sowie den Betrug ausweichen.<br />

in den Fällen, in denen die staatsanwaltschaft aufgrund der ausbeuterischen<br />

arbeitsverhältnisse, sei es auf schlachthöfen oder erdbeerplantagen, anklage erhoben<br />

hat, zeigte sich, dass die Betroffenen an einer rein strafrechtlichen Verfolgung<br />

kein großes interesse haben. sie bleiben auch zukünftig von Vermittlern abhängig<br />

und die angst, in kein neues arbeitsverhältnis vermittelt zu werden, ist groß. saisonarbeitskräfte<br />

stammen in der regel aus den neuen eu-Beitrittsländern, so dass<br />

die aufenthaltsrechtlichen – zeitlich befristeten – regelungen für Menschenhandelsopfer<br />

nicht greifen und kein großer anreiz bei den Betroffenen vorhanden ist,<br />

mit den strafverfolgungsbehörden zu kooperieren.<br />

anders stellt sich die situation bei Frauen und Mädchen aus außereuropäischen<br />

ländern dar, die in privaten haushalten arbeiten. hier werden oft arbeitsbedingungen<br />

geschildert, die durchaus die Bezeichnung «sklavereiähnlich« verdienen<br />

und damit die Voraussetzungen entweder der schuldknechtschaft oder aber des<br />

ausbeuterischen arbeitsverhältnisses eindeutig erfüllen. die Beweislage stellt sich<br />

jedoch insoweit als besonders schwierig dar, da in der regel nur die Betroffene<br />

als Zeugin zur Verfügung steht, so dass in der regel von einer situation «aussage<br />

gegen aussage« auszugehen ist. ist die aussage der Betroffenen aber glaubhaft, d.h.<br />

detailreich, im Kernbereich von einer aussagekonstanz geprägt, kann es durchaus<br />

zu einer Verurteilung gemäß § 233 stGB kommen. Wenn solche Fälle in haushalten<br />

von diplomatinnen vorkommen 82 , kann allerdings nicht selten eine strafverfolgung<br />

an der immunität der diplomatinnen scheitern.<br />

Betroffene, die rechtlich gegen die täter vorgehen wollen, sollten sich dringend<br />

an eine entsprechende Beratungsstelle wenden, unter umständen auch anwaltliche<br />

unterstützung in anspruch nehmen.<br />

um »die Bekämpfung des Menschenhandels zum Zwecke der arbeitsausbeutung<br />

der arbeitskraft« von dem Makel der Bedeutungslosigkeit zu befreien, bedarf<br />

es weiterer intensiver Bemühungen.<br />

82 Vgl. hierzu Prasad in Kapitel 4.<br />

hierzu gehören sicherlich:<br />

• seriöse informationen und Vermittlungen von arbeitsstellen im ausland<br />

mit gleichzeitiger Kontrolle der arbeitsbedingungen im inland,<br />

• information der Betroffenen über ihre rechte und vereinfachte<br />

rechtschutzmöglichkeiten gerade auch für Migrantinnen ohne<br />

aufenthaltsstatus oder Papiere,<br />

• einrichtung einer Bund-länder-aG unter einbeziehung der relevanten<br />

akteure,<br />

• sensibilisierung der zuständigen Behörden, staatsanwaltschaften und<br />

Gerichte,<br />

• konsequente durchsetzung von lohn-, schadens- und<br />

schmerzensgeldansprüche.<br />

• entkriminalisierung der Betroffenen, d.h. weg von der Pönalisierung<br />

der Betroffenen wegen aufenthaltsrechtlicher / steuerrechtlicher /<br />

sozialversicherungsrechtlicher Verstöße zu mehr Betroffenenschutz;<br />

• schaffung von Zugangsmöglichkeiten zum deutschen arbeitsmarkt.<br />

VI. Entschädigung der Verletzten<br />

Wer Opfer von Menschenhandel zur arbeitsausbeutung geworden ist, ist in der<br />

regel auch an Körper, Gesundheit, Freiheit und/oder eigentum verletzt. er ist<br />

Opfer einer straftat geworden. damit haben die Betroffenen auch die Möglichkeit,<br />

als Verletzte in einem laufenden strafverfahren ihre schadensersatz- und<br />

schmerzensgeldansprüche geltend zu machen. das so genannte adhäsionsverfahren<br />

ist in § 403 ff stPO geregelt. ein solches adhäsionsverfahren ist aber nur<br />

möglich, wenn ein strafverfahren gegen die täter eingeleitet, die anklage erhoben<br />

und der täter tatsächlich verurteilt wurde. in diesem Fall kann, wenn<br />

ein entsprechender Klageantrag gestellt wurde, auch das strafgericht über die zivilrechtlichen<br />

schmerzensgeld- und schadensersatzansprüche entscheiden. der<br />

Vorteil hierbei ist, dass im laufenden strafverfahren bereits auch Beweis darüber<br />

erhoben wird, dass u.u. ein arbeitsverhältnis bestand, dass es zu bestimmten<br />

strafbaren handlungen wie Körperverletzung, Freiheitsberaubung, nötigung<br />

o.ä. gekommen ist. es werden in der regel auch die Verletzungsfolgen bei den<br />

Betroffenen ermittelt. da die straftaten in einem strafprozess durch die staatsanwaltschaft<br />

und das Gericht aufgeklärt werden und der täter als angeklagter<br />

u.u. ein starkes interesse daran hat, den schaden schnellstmöglich auszugleichen,<br />

damit seine strafe möglichst gering ausfällt, kann es für die Betroffenen<br />

von Vorteil sein, ein solches adhäsionsverfahren zu betreiben. allerdings besteht<br />

die Möglichkeit eines solchen adhäsionsverfahrens nur, wenn nicht zuvor beim<br />

arbeits- oder Zivilgericht entsprechende lohn-, schadensersatz- oder schmerzensgeldansprüche<br />

geltend gemacht wurden.<br />

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