FRAUENHANDELN IN DEUTSCHLAND - KOK
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144 <strong>IN</strong>TerNATIoNALeS<br />
<strong>IN</strong>TerNATIoNALe uNd euroPÄISCHe MeNSCHeNHANdeLSPoLITIKeN 145<br />
Bärbel Heide Uhl<br />
ZERREIssPRobEn.<br />
IntERnatIonalE und EuRoPäIscHE MEnscHEn-<br />
HandElsPolItIKEn ZwIscHEn »KollatERalscHädEn«<br />
und MEnscHEnREcHtsscHutZ<br />
Einleitung<br />
die Jahrtausendwende signalisierte einen Meilenstein in der internationalen und<br />
europäischen Politik zur Bekämpfung des Menschenhandels. nach jahrelangen<br />
Verhandlungen hatte im Jahre 2000 die internationale staatengemeinschaft sich<br />
erstmals auf eine einheitliche, weltweit gültige und völkerrechtlich bindende definition<br />
von Menschenhandel geeinigt (die sog. Palermo definition) und diese im<br />
rahmen der un Konvention zur Bekämpfung der transnationalen Kriminalität<br />
und deren Zusatzprotokollen verabschiedet. 265<br />
in dessen Folge fanden sich zahlreiche akteure, die im internationalen, nationalen<br />
und zivilgesellschaftlichen Kontext strategien zur Bekämpfung von Menschenhandel<br />
entwarfen und umsetzten. das Politikfeld »Menschenhandel« unterlag<br />
einem enormen Wandel: Während sich in den letzten beiden Jahrzehnten<br />
des 20. Jahrhunderts vor allem akteurinnen der Frauen-, Migrantinnen- und sexarbeiterinnenbewegung<br />
in europa mit dem thema Menschenhandel befassten,<br />
entwickelten sich seit der Verabschiedung des Palermo Protokolls Politiken, institutionalisierungen<br />
und rechtsinstrumente in bisher unbekannten quantitativen<br />
ausmaßen. auch inhaltlich verschoben sich die schwerpunktsetzungen.<br />
im Folgenden soll auf der Grundlage entstandener Politikinstrumente eine<br />
kritische Bestandsaufnahme versucht werden, die charakteristisch für die nach-<br />
Palermo-Zeit steht. Welche herausforderungen birgt das Politikfeld Menschenhandelsbekämpfung<br />
am anfang des 21. Jahrhunderts?<br />
Menschenhandelspolitiken: Herausforderungen für den<br />
Menschenrechtsschutz und die Entwicklung von demokratischen<br />
Institutionen<br />
in einer weltweiten studie hat die Global alliance against trafficking in Women<br />
2007 unter dem titel »collateral damages« Menschenrechtsverstöße in existierenden<br />
Maßnahmen gegen Menschenhandel vorgestellt. 266<br />
Kritisiert werden vor allem die Maßnahmen in der Menschenhandelsbekämpfung,<br />
die unmittelbar die rechte der Betroffenen verletzen, wie z.B. Freiheitsentzug<br />
in schutzunterkünften und den an Kooperation mit der Polizei geknüpften<br />
Zugang zu unterstützungsstrukturen. außerdem werden fehlende Gefahrenanalysen<br />
bei rückführungen, diskriminierende reintegrationsprogramme und brutale<br />
razzien als weitere Verletzungen von Menschenrechten angeprangert.<br />
265 art. 3, united nations Protocol to Prevent, suppress and Punish trafficking in Persons, especially Women and children,<br />
supplementing the united nations convention against transnational Organised crime, 2000.<br />
266 GattW: collateral damages.<br />
schlussfolgernd fordert die Global alliance einen institutionell verankerten Überwachungsmechanismus<br />
von Menschenhandelsbekämpfungsmaßnahmen, der<br />
durch die nationalen Menschenrechtsinstitute ausgeübt werden könnte. darüber<br />
hinaus wird die einbeziehung der betroffenen Gruppen (gehandelte Menschen,<br />
sexarbeiterinnen, arbeitsmigrantinnen sowie deren interessensvertretungen) in<br />
die analyse und die Politikentwicklung gefordert. 267<br />
diese Forderungen stehen in der tradition, Politiken der Menschenhandelsbekämpfung<br />
in einen breiteren ansatz des Menschenrechtsschutzes einzubetten und<br />
setzen damit ein deutliches Zeichen gegen den spezialisierungstrend, der seit der<br />
Verabschiedung der Palermo-Konvention in der europäischen und internationalen<br />
Politik dominiert. 268<br />
Rückblick<br />
in den 1990er Jahren förderten hochrangige un-Veranstaltungen die internationale<br />
diskussion um den Menschenrechtsschutz. 269 Zivilgesellschaftliche Organisationen<br />
nutzten zunehmend völkerrechtliche Menschenrechtsinstrumente, um<br />
das zu jener Zeit noch recht unbekannte Politikfeld Menschenhandel politisch<br />
und rechtlich zu artikulieren. als prominentes dokument dieser auseinandersetzung<br />
sind die »human rights standards for the treatment of trafficked Persons«<br />
hervorgegangen. diese stellen einen Versuch dar, existierende völkerrechtliche<br />
Menschenrechtsinstrumente auf die anwendbarkeit für die schutzbedürftigkeit<br />
gehandelter Menschen hin zu prüfen und zusammenzufassen. das ergebnis ist ein<br />
umfassender Katalog, basierend auf geltendem recht, der die komplexe situation<br />
gehandelter Menschen berücksichtigt. 270<br />
dieser ansatz stand symptomatisch für die 1990er internationale nGO-Bewegung<br />
gegen Menschenhandel, die sich in der tradition des Menschenrechtsaktivismus<br />
verstand: in dem Bewusstsein des im Politikfeld Menschenhandel inhärenten<br />
repressiven Potentials wurde der schwerpunkt nicht darauf gelegt, sich für neue<br />
spezialisierte rechtsinstrumente einzusetzen, sondern Menschenhandel in den<br />
Koordinaten der Menschenrechtsarbeit von Gewalt gegen Frauen, Migration, Feminisierung<br />
der armut anzusiedeln.<br />
im Fokus dieser herangehensweise stand der gehandelte Mensch als rechtsträger<br />
und rechtseinkläger anstelle einer auf Viktimisierung basierenden identitätspolitik,<br />
die stereotype von gehandelten Menschen manifestiert. in der tradition<br />
der für Menschenhandel relevanten völkerrechtlichen instrumente der Vor-Palermo-Zeit<br />
wurden oftmals gehandelte Menschen nicht als eigenständig handelnde<br />
267 Mike dottridge: collateral damages- introduction.in. Gattw.2007 p<br />
268 siehe unzählige spezialisierte Politikinstrumente, die in den letzten Jahren erschienen sind: iOM:handbook on direct<br />
assistance for Victims of trafficking, icMPd: handbook on anti-trafficking data collection in south-eastern europe; icMPd:<br />
Guidelines for the develpment and implementation of a comprehensive national anti-trafficking response u.v.m.<br />
269 Prominente Weltkonferenzen waren die un-Weltkonferenz zu Menschenrechten, Wien 1993 http://www.unhchr.ch/html/menu5/wchr.htm<br />
und die un-Weltfrauenkonferenz, Peking 1995 http://www.un.org/womenwatch/daw/beijing/platform/human.htm<br />
270 Global alliance against trafficking in Women, Foundation against trafficking in Women , international human rights law<br />
Group: human rights standards for the treatment of trafficked Persons. January 1999. http://www.legislationline.org/upload/old/<br />
a53d3053f4520a0662576dcd8b9751a9.pdf<br />
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