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Was war sonst<br />
Das Motorsportjahr steht<br />
unter keinem guten Stern:<br />
Noch vor der Tragödie in Le<br />
Mans verlieren Formel-1-<br />
Pilot Alberto Ascari und Indianapolis-Doppelsieger<br />
Bill Vukovich ihr Leben.<br />
Lancia zieht sich vom Motorsport<br />
zurück und verschenkt<br />
seine sechs innovativen<br />
D50 an die Scuderia<br />
Ferrari. Mercedes-Benz<br />
beschließt bereits vor dem<br />
Le Mans-Unfall seinen<br />
Rückzug und eine Reihe<br />
von Veranstaltern weltweit<br />
zieht sich als Rennausrichter<br />
zurück. In der Schweiz<br />
wird ein bis heute gültiges<br />
Verbot von Rundstreckenrennen<br />
erlassen<br />
Stirling Moss und sein Beifahrer,<br />
der britische Journalist<br />
Denis Jenkinson,<br />
erzielen die absolute Mille-<br />
Miglia-Bestzeit und erreichen<br />
bereits nach nur zehn<br />
Stunden und sieben Minuten<br />
das Ziel der 1597 Kilo -<br />
meter langen Fahrt.<br />
Parallel zu den erfolgreichen Formel-1-Einsätzen von Mercedes wird das Haus dank des 300<br />
SLR in der mit Sportwagen ausgetragenen Marken-Weltmeisterschaft zum Weltmeister.<br />
Mercedes gewinnt die Mille Miglia, Tourist Trophy (links und rechts) und Targa Florio.<br />
___ Auch wenn Linienführung und Bezeichnung den<br />
Blick auf eine mögliche Zugehörigkeit zur Familie<br />
des Flügelmotor-Sportwagens 300 SL lenken, so<br />
kommt unter der silbernen Haut aus Magnesiumlegierung<br />
reinrassige Formel-1-Technik zum Einsatz.<br />
So arbeitet anstelle des Reihensechszylinders mit<br />
mechanischer Kraftstoffeinspritzung im SLR der geneigt<br />
montierte Reihenachtzylinder des weltmeisterlichen<br />
W196-Formel-1-Rennwagens. Im Sportwagen<br />
mobilisiert er 309 Pferdestärken.<br />
Dementsprechend konsequent wird<br />
sein interner Code (W196S) gewählt.<br />
Zu den weiteren technischen Leckerbissen<br />
zählen Einspritzung, zwangsgesteuerte<br />
(desmodromische) Ventile<br />
ohne Ventilfedern, Einzelradaufhängung<br />
mit Drehstabfederung und innen liegende<br />
Bremsen zur Reduzierung der ungefederten Massen.<br />
Der Dreiliter M196, so seine Bezeichnung, gilt<br />
nicht nur als eines der technisch aufwendigsten Aggregate,<br />
sondern auch als eines der erfolgreichsten:<br />
Auf das Konto des bereits 1954 erstmalige, rennenden,<br />
zweieinhalblitrigen Formel-1-Boliden gehen<br />
zehn Erfolge (bei zwölf Rennen), und der 300<br />
SLR gewinnt fünf der sechs Rennen. »Bildlich entsprach<br />
der BRM einer Schreibmaschine, der Vierzylinder-Ferrari<br />
einem russischen Dorfzählwerk mit<br />
Holzkugel und die Wagen aus Untertürkheim einem<br />
Elektronengehirn«, beschreibt der Kolumnist Laurence<br />
Pomeroy die technische Überlegenheit dieser<br />
Kons truktion. Legendäre Erfolge bei der Targa<br />
Florio, der Tourist Trophy oder eben der Mille Mig -<br />
lia machen den 300 SLR zu einer Ikone unter den<br />
Rennwagen – erst recht mit der roten Startnummer<br />
722. Der Startnummer entsprechend begeben sich<br />
das Duo Moss/Jenkins Punkt Sieben Uhr 22 auf die<br />
eilige Reise von Brescia über Rom nach Brescia.<br />
Während Juan-Manuel Fangio in der Formel 1 stets<br />
die Nase vor Stirling Moss behält, deklassiert der<br />
Brite am Steuer des 300 SLR mit Regelmäßigkeit<br />
die versammelte Konkurrenz. Erst recht bei der »Mille«,<br />
wo ihm sein Beifahrer, der Journalist Derek Jenkins,<br />
mit einem »Gebetbuch«, wie es später in der<br />
Rallyeszene unverzichtbar wird, wichtige Orientierungshilfen<br />
für die Reise<br />
gibt. Nach nur zehn<br />
Stunden und sieben Minuten<br />
Fahrtzeit steht<br />
der 300 SLR wieder in<br />
Brescia. Das entspricht<br />
einem Schnitt von über<br />
157 km/h – auf einer Strecke von über 1600 Kilometern<br />
über öffentliche Straßen, durch verwinkelte<br />
Städte und Servicepausen!<br />
Für das 24-Stunden-Rennen von Le Mans erhält<br />
der je nach Einsatzzweck ein- oder zweisitzige SLR<br />
eine neuartige Luftbremse, eine Art »Landeklappe«,<br />
die die Trommelbremsen eindrucksvoll unterstützen<br />
soll. Doch beim Langstreckenklassiker sorgt<br />
der Silberpfeil nicht durch seine Technik für Furore,<br />
sondern steht im Mittelpunkt des wohl schwärzesten<br />
Moments der Motorsport-Geschichte: Beim<br />
Unfall des SLR mit einem Austin Healey verlieren<br />
Pilot Pierre Bouillon alias »Levegh« und 81 Zuschauer<br />
ihr Leben. So endet das Jahr 1955 für Mercedes-<br />
Benz dank des W196 und W196S mit dem klaren<br />
Gewinn der Titel in der Formel-1-Weltmeisterschaft<br />
und der für Sportwagen ausgeschriebenen Marken-<br />
WM, aber – nach der Tragödie von Le Mans – auch<br />
mit dem vorläufigen Ende werkseitiger Motorsportaktivitäten.<br />
___<br />
Der 300 SLR sorgt für<br />
große Siege, aber auch<br />
eine riesige Tragödie<br />
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