schaft - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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Unter der Perspektive der reflexiven Modernisierung<br />
stellt sich die Frage, ob die in diesen<br />
Spannungsfeldern sich vollziehenden Veränderungen<br />
in ihrem Kern nur Differenzierungsprozesse<br />
widerspiegeln oder Zeichen für einen<br />
Übergang von zwei sich grundlegend unterscheidenden<br />
Etappen innerhalb der Moderne sind<br />
(Beck/Bonß/Lau 2004). Mit der Methode der<br />
doppelten Lesart sollen empirische Ergebnisse<br />
für diese Frage ‚operationalisierbar‘ gemacht<br />
werden.<br />
In der ersten Lesart erscheint die Geschichte<br />
der Naturfreunde wie eine Wiederholung<br />
desselben. Ein Beispiel ist die Diskussion<br />
um den sanften Tourismus. Keine<br />
Neuerfindung, sondern ein Wiederaufgreifen<br />
von Inhalten, die sich schon im Konzept des<br />
‚sozialen Wanderns‘ der zwanziger Jahre finden<br />
lassen. Ähnliches gilt für den Naturschutz.<br />
Mitte der 1990er prominent als zentrales<br />
Ziel verankert, finden sich Gedanken<br />
zu naturschützerischen Aufgaben bereits in<br />
vielen Schriften schon vor 1900. Ob es die<br />
Klage ist, dass die Praxis nur noch gesellig<br />
und spaßorientiert ist: Die Jahreszahlen solcher<br />
Debatten (1991 oder 1921 als Beispiel)<br />
scheinen ebenso austauschbar, wie die Erinnerung<br />
an den demokratischen Sozialismus.<br />
Der Versuch, ihn in den neunziger Jahren in<br />
der Satzung zu verabschieden, hat bis zum<br />
heutigen Tag ebenso Tradition, wie seine Erfolglosigkeit.<br />
Auch dass sie stets den prominenten<br />
linken außerparlamentarischen Aktionen<br />
als Bündnispartner beitreten, gehört zur<br />
wiederkehrenden Geschichte der Naturfreunde.<br />
Ähnlich wie heute an der Seite von AT-<br />
TAC gegen die Globalisierung, demonstrierten<br />
Naturfreunde gegen Vietnam und die<br />
Wiederbewaffnung. Neben dem Muster der<br />
Wiederholung und Wellenbewegung findet<br />
sich natürlich auch das der Differenzierung.<br />
Bereits in der Gründungsphase boten die<br />
Naturfreunde gewisse Dienstleistungen an<br />
(Reisebüro, Ski-Depot). Im Verlauf der Jahr-<br />
Renate Höfer<br />
zehnte haben sich diese vielfach entlang der<br />
mehr werdenden Fachgruppen ausdifferenziert<br />
und professionalisiert.<br />
Natürlich haben sich Begriffe und Konzepte<br />
gewandelt. Aber die bereits früh angelegte plurale<br />
Orientierung hat es ermöglicht, immer<br />
wieder einfach und leicht Anknüpfungspunkte<br />
zu neuen Entwicklungen herzustellen, die zugleich<br />
wie eine Fortführung der Tradition wirken.<br />
Aktuelles Beispiel ist der Bezug zum Nachhaltigkeitsdiskurs,<br />
der explizit als Traditionsbestandteil<br />
codiert wird. In dieser Lesart sind<br />
die Naturfreunde im Kern gleich geblieben. Jenseits<br />
der privilegierten Gesell<strong>schaft</strong>skreise angesiedelt,<br />
organisieren sie die Verbindung von<br />
Naturerleben und gesell<strong>schaft</strong>spolitisch-kulturellen<br />
Anliegen der nicht privilegierten Bevölkerungsgruppen.<br />
Sie sind Teil eines fortschreitenden<br />
Modernisierungsprozesses, den sie weniger<br />
gestalten als ihm folgen. Die programmatische<br />
wie vor allem alltagspraktische Pluralität<br />
ermöglicht relativ einfache Anpassungsprozesse.<br />
In der zweiten Lesart wird ein massiver und<br />
unumkehrbarer Wandlungs- und Entgrenzungsprozess<br />
diagnostiziert. Im Mittelpunkt steht eine<br />
weitgehend veränderte Organisation, die zwar<br />
die oben genannten Spannungsfelder kennt,<br />
letztlich aber in vielen Teilen mit den Grundprämissen<br />
ihrer Geschichte und der Einbettung in<br />
die sozialistische Arbeiterkultur um 1900 nichts<br />
mehr gemein hat. Markantester Bruch ist die<br />
Herauslösung aus der Arbeiterkultur und Öffnung<br />
gegenüber früher klar abgegrenzten Gruppierungen.<br />
Indizien sind die veränderte Zusammensetzung<br />
gerade der jüngeren Mitglieder, die<br />
veränderten Zugangswege (jenseits familialer<br />
Weitergabe) ebenso wie das Ende einer Lebensführung,<br />
bei der man über sein ideologisches<br />
Commitment weitgehend in die Lebenswelt des<br />
Vereins und dessen Milieu integriert war. Grenzziehungen<br />
zu bürgerlichen Gegenentwürfen sind<br />
irrelevant geworden. So distanziert man sich<br />
nicht mehr vom bürgerlichen Alpenverein, son-