schaft - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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Nimmt man allerdings in den Blick, dass<br />
volkswirt<strong>schaft</strong>lich niemals alle notwendigen<br />
Pflegeleistungen aus dem Sektor ‚Nursing und<br />
Care‘ als Dienstleistungen erbracht und bezahlt<br />
werden, sei es nun aus Privatmitteln oder aus<br />
Mitteln sozialer Sicherungssysteme, wird deutlich,<br />
dass bei einer Gesamtbetrachtung alle Akteure<br />
im Sektor der Pflege auf wohlfahrtspluralistische<br />
Bewältigungsformen angewiesen sind.<br />
Die relative finanzielle Stabilität der Pflegeversicherung<br />
basiert einzig und allein auf der unerwartet<br />
hohen Familienpflegebereit<strong>schaft</strong>, das<br />
heißt auf der Leistungsfähigkeit des informellen<br />
Sektors. Wäre diese so nicht gegeben, wären<br />
die Pflegedienste in ihren Entgeltniveaus<br />
höchst wahrscheinlich schon längst nicht mehr<br />
dort, wo sie heute sind. Die Verteidigung eines<br />
aus haushaltsökonomischer Perspektive vergleichsweise<br />
hohen Preisniveaus für pflegerische<br />
Dienstleistungen basiert auf einer limitierten<br />
Inanspruchnahme dieser Leistungen durch<br />
die Berechtigten. 1<br />
Gemeinwirt<strong>schaft</strong>liche mit erwerbswirt<strong>schaft</strong>lichen<br />
Zielsetzungen und Logiken in Verbindung<br />
zu bringen, ist im Zusammenhang mit<br />
wohlfahrtspluralistischen Ansätzen eine wichtige<br />
Herausforderung auf institutioneller Ebene.<br />
Auf der staatlichen Ebene konkurrieren<br />
immer noch, wenn auch moderat, liberale, konservative<br />
und sozialdemokratische Modelle und<br />
Konzepte sozialstaatlicher Sicherung, auch im<br />
Bereich der Pflege. Sie akzentuieren unterschiedlich<br />
die Beiträge des Marktes (besonders<br />
im liberalen Politikansatz akzentuiert), der Familie<br />
(eher in konservativen Politikansätzen) und<br />
die des Staates (eher sozialdemokratischer Politikkonzepte).<br />
Wohlfahrtspluralismus versucht<br />
eine Verbindung, eine Melange aus unterschiedlichen<br />
Steuerungslogiken. Bei einer jeweils interessengeleiteten<br />
Sozialpolitik wird das Bestandsinteresse<br />
bestimmter Akteure (Sozialversicherungen,<br />
Anbieter sozialer Dienstleistungen<br />
auf Märkten, Wohlfahrtsverbände) in klassisch<br />
korporatistischen Strukturen als eine allein auf<br />
Thomas Klie<br />
die Produktion möglichst großer Wohlfahrt ausgerichtete<br />
Politik verteidigt. Für alle Akteure<br />
bietet aber ein wohlfahrtspluralistischer Ansatz<br />
interessante, sie häufig auch auf ihre ideologischen<br />
Wurzeln zurückführende Strategien der<br />
Modernisierung.<br />
Es lassen sich vier Megatrends eines wohlfahrspluralistischen<br />
Diskurses (Evers/Olk 1996;<br />
Klie/Ross 2005) ausmachen, die die Diskussion<br />
auch im Bereich der Pflege und Betreuung<br />
bestimmen. Da ist zunächst die neue Bedeutung<br />
des informellen Sektors. Das Vorhandensein und<br />
die Leistungsfähigkeit von Familien, Nachbar<strong>schaft</strong>en<br />
und anderen informellen Netzwerken<br />
ist konzeptionell und politisch in den vergangenen<br />
Jahrzehnten eher vernachlässigt worden.<br />
Man hat auf Familien gesetzt, ohne die Voraussetzungen<br />
dafür zu schaffen, dass sie sich in<br />
einer modernen Gesell<strong>schaft</strong> auch weiter so entfalten,<br />
wie dies der Wohlfahrtsstaat voraussetzt.<br />
Im Bereich der Pflege und Betreuung wirkt sich<br />
eine Vernachlässigung der Familienpolitik in den<br />
letzten Jahrzehnten in dem allein demographisch<br />
schon voraussagbaren Rückgang des so genannten<br />
Pflegepotentials aus. Hinzu tritt ein<br />
Mentalitätswandel in der Bevölkerung, der die<br />
Pflegebereit<strong>schaft</strong>, die die Finanzierung der Pflegeversicherung<br />
heute vergleichsweise stabil<br />
gehalten hat, so nicht mehr voraussetzen lässt.<br />
Wenn wir aber weiter auf das Primat der innerfamiliaren<br />
Solidarität als Hauptproduktionsstelle<br />
von Wohlfahrt auch im Feld der Pflege und<br />
Betreuung setzen, gewinnt der informelle Sektor<br />
auch als ein durch entsprechende Rahmenbedingungen<br />
zu fördernder Sektor an Bedeutung.<br />
Nicht zuletzt durch die Einführung der Pflegeversicherung<br />
und die europarechtlichen Kontexte<br />
hat der Markt von Humandienstleistungen<br />
in Haushalt und in Pflege und Betreuung<br />
an Bedeutung gewonnen. Der Zuwachs an Pflegediensten<br />
geht im Wesentlichen auf das Konto<br />
erwerbswirt<strong>schaft</strong>lich orientierter Anbieter. Die<br />
Land<strong>schaft</strong> der Anbieter von Humandienstleis-