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schaft - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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Zivile Inseln und ,No go areas‘<br />

zivilisatorischer Standards. Barbaren sind all<br />

diejenigen, die die normativen Prämissen gemeinsamer<br />

Zugehörigkeit fallenlassen und<br />

verraten – Zugehörigkeit zu dem Kreis derjenigen,<br />

zwischen denen wechselseitige Verpflichtungen<br />

bestehen. Das Problem ist tiefer<br />

greifend als manche Programme der politischen<br />

Bildung es erscheinen lassen: Die Moderne<br />

dehnt die Kreise faktischer Inklusion beständig<br />

aus (durch Welthandel, transnationale Regime,<br />

Globalisierung von Kultur und Kommunikation).<br />

Sie schafft aber keine klaren sozialen<br />

Referenzen für moralische Verpflichtungen<br />

(oder löst sie tendenziell auf) – soziale<br />

Bezugsgruppen, innerhalb derer moralische<br />

Ansprüche konkrete Adressaten finden können.<br />

Die Moderne mutet dem Einzelnen in diesem<br />

Prozess die Pflicht zu, vom Anderssein<br />

der anderen abzusehen. Sie fordert die Abstraktion<br />

von Differenzen sozialer, religiöser<br />

und ethnischer Art zugunsten einer relativ abstrakten<br />

Menschengleichheit. Sie erzeugt damit<br />

aber zugleich einen virulenten Bedarf an<br />

„Differenzversicherung“ (Offe 1996): das Bedürfnis,<br />

Grenzen und Nicht-Zugehörigkeiten<br />

zu definieren und diese mitunter auch aggressiv<br />

zu verteidigen. Was sich dabei abspielt ist<br />

die Betäubung des Sinns für die elementare<br />

Unzulässigkeit von Handlungen, die die physische<br />

und symbolische Integrität anderer Menschen<br />

verletzen, die als faktische Teilhaber an<br />

einem zivilisatorischen Gefüge von Interaktionen<br />

und Normen durchaus Anspruch auf den<br />

Schutz dieser Normen haben. Barbarisch können<br />

in diesem Zusammenhang nicht nur Handlungen,<br />

sondern auch Unterlassungen sein. In<br />

jeder Gesell<strong>schaft</strong> gibt es einen Grundstock an<br />

rechtlich oder zumindest moralisch geforderter<br />

Hilfsbereit<strong>schaft</strong>, an Kenntnisnahme- und<br />

Eingriffspflichten, die auch durch spezifisches<br />

Nichtstun verletzt werden können. Die, wie<br />

Offe es nennt, „zivilisatorische Pflicht zur<br />

Kenntnisnahme“ macht diejenigen zu hintergründigen<br />

Mittätern, die wegschauen und<br />

183<br />

gleichgültig sind (ebd.: 266). Während der Holocaust<br />

das Paradebeispiel für eine staatliche<br />

Selbstaufhebung von Zivilität ist, lässt sich<br />

heute die Gefahr vor allem in nicht-staatlichen<br />

Formen von Rassismus, Exklusion, Dezivilisierung<br />

und Gewaltsamkeit ausmachen. Diese<br />

spielen sich innerhalb einer vermeintlich zivilen<br />

Gesell<strong>schaft</strong> und zivilen Ökonomie ab.<br />

Wilhelm Heitmeyer (2003) und sein Team<br />

haben in ihrer Bielefelder Langzeitstudie eine<br />

Erosion zivilisatorischer Standards bis in die<br />

Mittelschichten hinein festgestellt. Sie messen<br />

eine Zunahme dessen, was sie „gruppenbezogene<br />

Menschenfeindlichkeit“ nennen. Gruppenbezogene<br />

Menschenfeindlichkeit liegt dann<br />

vor, wenn Personen aufgrund ihrer gewählten<br />

oder zugewiesenen Gruppenzugehörigkeit als<br />

ungleichwertig markiert und feindseligen Mentalitäten<br />

der Abwertung, Ausgrenzung usw.<br />

ausgesetzt werden, so dass die Würde der betroffenen<br />

Menschen angetastet oder zerstört<br />

werden kann (ebd.: 14). Darunter werden so<br />

verschiedene Phänomene wie Rassismus,<br />

Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Heterophobie,<br />

Etabliertenvorrechte, Sexismus gefasst.<br />

Ihr gemeinsamer Kern besteht in neuen<br />

Ideologien der Ungleichheit, die biologistisch<br />

oder utilitaristisch gerechtfertigt werden. Als<br />

räumlicher Ausdruck gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit<br />

können so genannte ‚No go<br />

areas‘ gelten 5 . Als ‚No go areas‘ müssen wir,<br />

nach den bisherigen Überlegungen wohl solche<br />

Gebiete bezeichnen, in denen, das horizontale<br />

Versprechen des Rechts, Rechte zu haben,<br />

das oben angesprochen wurde, aufgekündigt<br />

ist. Nicht das Recht allein verbürgt ja die<br />

Zivilität, sondern es markiert nur die Ansprüche<br />

auf Zivilität, die im sozialen Leben außerhalb<br />

des Rechts zur Geltung gebracht werden<br />

müssen. Wenn in ‚No go areas‘ Rechte nur<br />

noch vertikal durch den Staat und seine Ordnungshüter<br />

verteidigt werden (und<br />

möglicherweise noch nicht einmal das), sind<br />

sie schon gescheitert. ‚No go areas‘ sind

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