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Wald und Wild – Grundlagen für die Praxis - BAFU

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> Jagdplanung bei Reh, Gämse <strong>und</strong> Rothirsch<br />

7.6 Aspekte zur biologisch orientierten Jagdplanung beim Gämswild<br />

7.6.1 Die zwei Geschlechter verfolgen unterschiedliche Lebensstrategien<br />

Der Geschlechtsdimorphismus, d. h. der Unterschied in Aussehen <strong>und</strong> Verhalten<br />

zwischen den Geschlechtern, ist beim Gämswild weit weniger ausgeprägt als beim<br />

Rotwild. Böcke sind zwar durchschnittlich r<strong>und</strong> 40 % schwerer als Geissen, hingegen<br />

tragen beide Geschlechter Stirnwaffen (Krucken), welche sich nur wenig unterscheiden<br />

27 . Trotz eher geringer äusserlicher Unterschiede der Geschlechter ist ihr Verhalten<br />

ebenso unterschiedlich wie beim Rotwild. So leben Böcke <strong>und</strong> Geissen im Jahreslauf<br />

räumlich getrennt, bzw. in unterschiedlichen sozialen Gruppen <strong>und</strong> nach anderen<br />

Rhythmen von Äsen <strong>und</strong> Ruhen. Einzig zur Brunftzeit gibt es einen intensiven Kontakt<br />

zwischen sozial reifen Böcken <strong>und</strong> Geissen, wobei <strong>die</strong> Böcke untereinander um das<br />

exklusive Zugangsrecht zu <strong>die</strong>sen aus Geissen bestehenden Brunftrudeln kämpfen.<br />

Auch tragen Böcke <strong>–</strong> identisch zum Rotwild <strong>–</strong> ausser der Zeugung keinerlei Investitionen<br />

zum Aufwachsen <strong>und</strong> Gedeihen des Nachwuchses bei. Und es sind ebenfalls <strong>die</strong><br />

Männchen, welche <strong>die</strong> gefährliche Abwanderung vom Geburtsrudel übernehmen,<br />

währenddem weibliche Gämsen meist im Rudel ihrer Mutter bleiben. All <strong>die</strong>se Unterschiede<br />

zeigen, dass auch beim Gämswild unterschiedliche Selektionsfaktoren auf <strong>die</strong><br />

Geschlechter einwirken, weshalb Geissen <strong>und</strong> Böcke eine unterschiedliche Lebensstrategie<br />

verfolgen müssen, um im Leben erfolgreich zu sein. Da das Gämswild jedoch<br />

weit weniger gründlich untersucht ist als das Rotwild, muss hier öfters nach dem<br />

Wahrscheinlichkeitsprinzip argumentiert werden.<br />

> Gämsgeissen setzen pro Jahr höchstens ein Jungtier <strong>und</strong> einzig sie tragen <strong>die</strong> Verantwortung<br />

über das Aufwachsen <strong>und</strong> Gedeihen des Nachwuchses. Um ihren Fortpflanzungserfolg<br />

zu maximieren, versucht eine Geiss deshalb möglichst lange zu<br />

leben <strong>und</strong> alljährlich ein Jungtier grosszuziehen; aus <strong>die</strong>sem Gr<strong>und</strong> führen <strong>die</strong> meisten<br />

Geissen vom 3. bis zum 10. Lebensjahr fast alljährlich ein Kitz. Allerdings ist<br />

der Lebensraum der Gämse unberechenbar <strong>und</strong> zeitweise sehr harsch, wodurch<br />

Gämsen immer wieder hart an <strong>die</strong> Grenze der energetischen Belastbarkeit kommen<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> äusserst zehrenden Kosten der Tragzeit <strong>und</strong> Laktation einzig zu Lasten der<br />

Geissen gehen. Aus <strong>die</strong>sem Gr<strong>und</strong> schaffen es <strong>die</strong> meisten Geissen nicht, alljährlich,<br />

ein Kitz gross zu ziehen. Um ihre Kräfte <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zukunft zu schonen, sind <strong>die</strong> meisten<br />

Geissen daher periodisch gezwungen eine Kitzpause einzulegen, oder sie verlieren<br />

ihr Kitz bereits während der Tragzeit oder früh im Verlauf des Sommers. Die<br />

Kitzsterblichkeit <strong>–</strong> vermutlich infolge Auskühlung <strong>und</strong> Krankheit bei Schlechtwettereinbrüchen<br />

<strong>–</strong> kann beim Gämswild von Jahr zu Jahr ganz bedeutend sein (siehe<br />

Abb. 7-6). Im Herbst kann deshalb in jedem Gämsenbestand eine beträchtliche, jedoch<br />

jährlich <strong>und</strong> räumlich unterschiedliche Anzahl galter Geissen angetroffen werden.<br />

Gämsgeissen leben eine risikoreiche Randexistenz in einem harschen Lebensraum;<br />

Überleben <strong>und</strong> erfolgreiche Fortpflanzung sind daher keine Selbstverständlichkeit.<br />

Deshalb stellen Gämsgeissen hohe Anforderungen an ihren Lebensraum,<br />

27 Die Länge unterscheidet sich kaum zwischen den Geschlechtern, allerdings sind <strong>die</strong> Krucken der Böcke an der Basis bedeutend dicker<br />

<strong>und</strong> allermeist auch etwas stärker gehakelt.<br />

153<br />

Lebensstrategie der Gämsgeissen

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