Wald und Wild – Grundlagen für die Praxis - BAFU
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> Jagdplanung bei Reh, Gämse <strong>und</strong> Rothirsch<br />
> Gämsböcke können in einem einzelnen Jahr mehr Kitze zeugen als eine Gämsgeiss<br />
in ihrem gesamten Leben. Was sie daran hindert, sind einzig konkurrenzstärkere<br />
Rivalen, welche dasselbe wollen. Ebenso wie beim Rotwild investieren Gämsböcke<br />
ausser der Zeugung selber nichts in ihren Nachwuchs; d. h. <strong>die</strong> Verantwortung über<br />
das Aufwachsen <strong>und</strong> Gedeihen des Nachwuchses liegt ausschliesslich bei den Geissen.<br />
Ebenso werden beim Gämswild sämtliche Geissen ungefähr zur selben Zeit<br />
brunftig 28 <strong>und</strong> auch sie leben im Rudel. Brunftige Geissen stellen somit <strong>für</strong> Böcke<br />
eine geklumpte Ressource dar, welche <strong>die</strong> «Absicht» zu deren Monopolisierung<br />
weckt. Dabei steht das Beschlagen der brunftigen Geissen vorwiegend dem Platzbock<br />
zu. Wie beim Rotwild versuchen auch beim Gämswild <strong>die</strong> Böcke untereinander<br />
den Zugang zu <strong>die</strong>sen Brunftrudeln zu erkämpfen <strong>und</strong> so ihren Lebensfortpflanzungserfolg<br />
zu maximieren. Da Gämsen nun aber seit jeher in einem viel steileren<br />
Lebensraum lebten, werden solche Auseinandersetzungen unter rivalisierenden Böcken,<br />
anders als beim Rotwild, nicht über Schiebekämpfe <strong>–</strong> bei denen <strong>die</strong> Körpermasse<br />
eine entscheidende Bedeutung hat <strong>–</strong> ausgetragen, sondern über wilde <strong>und</strong> heftige<br />
Verfolgungsjagden <strong>–</strong> bei denen Agilität <strong>und</strong> Ausdauer eine entscheidende Rolle<br />
spielen. Ein allzu schwerer Körper wäre dabei durch <strong>die</strong> damit verb<strong>und</strong>ene Trägheit<br />
gar gefährlich <strong>für</strong> einen Gämsbock in <strong>die</strong>sen hoch aggressiven Hetzjagden. Deshalb<br />
unterscheiden sich Gämsböcke weder in ihrer Körpermasse noch in ihren Stirwaffen<br />
dermassen stark von den Geissen wie Hirschstiere von den Kühen. Zu Platzböcken<br />
werden nur solche Böcke, welche (a) über genügend Energie, Sprungkraft <strong>und</strong> Agilität<br />
verfügen, um <strong>die</strong> äusserst anstrengenden Hetzjagden im steilen Alpingelände<br />
durchzustehen (d. h. ges<strong>und</strong> <strong>und</strong> konditionell stark sind), <strong>und</strong> (b) über <strong>die</strong> notwendige<br />
soziale Dominanz verfügen (d. h. das notwendige Alter <strong>und</strong> Kampferfahrung besitzen).<br />
In einer natürlich aufgebauten Population findet <strong>die</strong> Fortpflanzung bei Böcken<br />
(falls überhaupt) bloss innerhalb weniger Lebensjahre statt, während sich Geissen<br />
fast über ihr gesamtes Leben kontinuierlich fortpflanzen. Platzböcke sind dabei<br />
meist Böcke im Alter zwischen sieben bis zwölf Jahren, jüngere Böcke sind zu klein<br />
<strong>und</strong> unerfahren, ältere Böcke zu ausgebrannt <strong>und</strong> alt. Um als Platzbock erfolgreich<br />
zu sein, muss ein Gämsbock beträchtliche Risiken auf sich nehmen. Dieses Risiko<br />
ist am offensichtlichsten beim Kämpfen, wo tödliche Verletzungen vorkommen können,<br />
wenn sich <strong>die</strong> Böcke auf Körperkontakt nahe kommen, nicht mehr ausweichen<br />
können <strong>und</strong> <strong>die</strong> sehr spitzen Krucken von unten nach oben reissend eingesetzt werden<br />
29 . Ein weiteres grosses Risiko gehen <strong>die</strong> Böcke ein, weil sie während der Brunft<br />
nichts mehr fressen <strong>und</strong> ihre Energiereserven vollständig aufbrauchen, weshalb sie<br />
bei ungünstigen äusseren Bedingungen oder bei Anwesenheit von Grossraubtieren<br />
eine hohe Mortalität im nachfolgenden Winter erleiden. Auch bei der sommerlichen<br />
Habitatwahl <strong>und</strong> der Abwanderung zeigt sich, dass Gämsböcke durchaus risikoreicher<br />
sind <strong>und</strong> Einstände wählen, welche den Geissen zu unsicher erscheinen.<br />
Die Schlüsselfaktoren einer erfolgreichen Gämsbock Lebensstrategie sind somit<br />
Nahrung <strong>und</strong> Risikobereitschaft in einem im Vergleich zu Geissen meist kürzeren<br />
28 Diese Synchronisation Gämsbrunft ist bedingt durch <strong>die</strong> Synchronisation der Geburten im Frühjahr. Dies zeigt, dass im Laufe der<br />
Evolution nur solche Geissen sich optimal fortpflanzten, welche ihre Kitze in <strong>die</strong> Vegetationszeit «hinein» setzen konnten, wodurch sie<br />
den frühsommerlichen «Überfluss» an Nahrung über ihre Milchleistung in ihren Nachwuchs transformieren konnten.<br />
29 Brunftkämpfe sind äusserst gefährlich <strong>und</strong> <strong>die</strong> Verletzungsrate hoch; insbesondere sind penetrierende Stich-Reissverletzung im Bauch-<br />
Flankenbereich gefährlich. Solche W<strong>und</strong>en entzünden gern <strong>und</strong> <strong>die</strong> geschwächten Böcke erleiden eine hohe natürliche Mortalität im<br />
folgenden Winter <strong>und</strong> durch Grossraubtiere.<br />
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Lebensstrategie der Gämsböcke