Phänomen-Verlag Norina Ebele
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einen Künstler aufgrund seiner oder ihrer Politik beurteilten, Dummköpfe<br />
waren. Das meine ich immer noch.<br />
Meine nächste Leidenschaft war der “soziale Kommentar“ und/oder die<br />
“Philosophie“ (ich machte da keinen großen Unterschied). Ich las und ließ mein<br />
Gehirn von Spinoza, Hume, Marx, Veblen, Henry George, Sir James Frazer und<br />
H. L. Mencken und allen möglichen anderen Leuten neu organisieren, die ganze<br />
andere Realitätstunnel hatten als der irische Katholizismus.<br />
Im virtuellen Raum war ich von der Quadratmeile Gerrison Beach und seinem<br />
irisch‐katholischen Gitter zu mehreren Quadratmeilen von Brooklyn/Manhattan<br />
und der Welt moderner Gedanken und moderner Kunst im Allgemeinen<br />
umgezogen.<br />
Eines Tages ging ich schließlich zu meinem Vater und sagte ihm, dass ich nicht<br />
einsehe, weiterhin zur Messe gehen zu müssen, da er selbst auch nie hinging. Er<br />
blieb ganz ruhig dabei. Er sagte, er glaube nicht mehr an die Kirche und<br />
betrachte sie als ein Schwindelgeschäft, erdacht, um Geld zu machen, aber er<br />
glaube, dass manches, was die Nonnen lehrten, wahr sei und Kinder das<br />
brauchten. Das war keine profunde philosophische Diskussion und geschah vor<br />
etwa 44 Jahren, deshalb kann ich nicht garantieren, dass ich die Sicht meines<br />
Dads wirklich verstand, aber ich denke, er glaubte, dass Kinder, die ohne<br />
Religion erzogen werden, fürchterlich selbstsüchtige und unmoralische<br />
Erwachsene werden, obwohl die Kirche voller Aberglaube und<br />
Kommerzialisierung ist.<br />
Viele Leute glauben das immer noch und schicken ihre Kinder zur<br />
Sonntagsschule, die einen großen Haufen bizarren Unsinns lehrt, nur weil sie<br />
wissen, dass diese Institutionen außerdem ein paar Ideen lehren, die die ganze<br />
menschliche Rasse davon abhalten, so unehrlich und mörderisch zu handeln wie<br />
die blutrünstigen Piraten und lustigen Banditen, die uns regieren.<br />
Die Sichtweise meiner Mutter war einfacher. Sie glaubte an Gott und den<br />
Himmel und an Wunder, weil sie das glücklich machte, aber sie fühlte sich<br />
trotzdem nicht dazu verpflichtet, alles zu glauben, was die Kirche verkündete,<br />
besonders wenn es sie nicht glücklich und außerdem keinen Sinn machte.<br />
Sobald ich sonntags nicht mehr zur Messe gehen musste, begann sich der<br />
katholische Realitätstunnel in die Vergangenheit zurückzuziehen. Erst als eine<br />
Dekade vergangen und ich in den Mittzwanzigern war, erkannte ich, dass man<br />
seine frühe Konditionierung nicht so leicht los wird: Ich hatte immer noch einige<br />
katholische Ängste und Repressionen. Es bedurfte der Psychotherapie, um sie<br />
nach und nach loszuwerden.<br />
Da meine Eltern in den ganzen Jahren ihrer Ehe nur zwei Kinder hatten,<br />
schließe ich daraus, dass sie die merkwürdige Vorstellung der Kirche über<br />
Verhütung nicht teilten.<br />
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