Phänomen-Verlag Norina Ebele
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Realität, kreiert von der merkwürdigen symbolschaffenden Kapazität des oberen<br />
Quadratinches unseres vorderen Gehirns. Sprache schuf in meiner Kindheit Gott,<br />
Satan und die Hölle und schuf Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, das<br />
Naturgesetz und andere Fiktionen, die mich in anderen Stadien meiner<br />
“Entwicklung“ in Besitz nahmen. Die Sprache ruft Geister hervor, die in unsere<br />
Köpfe kommen und uns hypnotisieren.<br />
Sobald man sich mit dem Thema beschäftigt, ist es offensichtlich, dass unsere<br />
Augen nicht das ganze Universum sehen können. Sie können noch nicht einmal<br />
den ganzen Raum sehen, in dem wir gerade sitzen (sie sehen nur, was vor uns<br />
ist, oder ein wenig zur Rechten und zur Linken, aber nicht alles; sie sehen nie,<br />
was hinter uns ist...). Ähnlich können unsere Mägen nicht das ganze Universum<br />
verdauen, und unsere Gehirne können nicht das ganze Universum “wissen“ (sie<br />
können nur Signale erkennen, die sie bereits erhalten haben, und erinnern sich<br />
nicht an alle bewusst...).<br />
Trotzdem programmiert uns Sprache darauf zu versuchen zu sprechen, als ob<br />
wir die Art von Unfehlbarkeit besäßen, die der Papst, das Zentralkomitee der<br />
marxistischen Partei oder Ayn Rand in Anspruch nehmen. Das heißt, Sprache<br />
erlaubt uns, Dinge zu sagen wie “die Rose ist rot“ – was sehr unschuldig<br />
aussieht, nicht wahr? Doch in der leichten Hypnose dieser virtuellen Realität<br />
vergessen wir prompt, dass die Rose mehr und anders als rot “ist“ – das heißt zum<br />
Beispiel duftend, dass sie vergänglich ist und bald verblühen wird, und dass sie<br />
aus Elektronen und anderen Wellenformen gemacht ist – und dass es nur rot ist<br />
für Kreaturen mit Augen wie unseren etc.<br />
Jede Übersimplifizierung wird schnell zur Lüge (wenn wir in Bezug auf<br />
Sprache nicht zynisch sind); deshalb lügt Sprache immer, einfach weil sie<br />
übersimplifiziert. Von “die Rose ist rot“ zu “die Staatsschulden zwingen uns, die<br />
Steuern wieder zu erhöhen“ zu “ARKANSAS MUM VON MÜCKEN VOM<br />
MARS VERGEWALTIGT“, “Pornographie ist Mord“ (Andrea Dworkin) begeben<br />
wir uns jedes Mal, wenn wir den Mund aufmachen, um zu sprechen, von einer<br />
Fiktion in die andere.<br />
Wie Wendell Johnson schrieb:<br />
Eine Rose mit anderem Namen<br />
würde nie, nie genauso riechen,<br />
und gewitzt ist die Nase, die eine Zwiebel erkennt,<br />
die eine Rose genannt wurde.<br />
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