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Phänomen-Verlag Norina Ebele

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88<br />

Wilson wird ein Liberaler<br />

... genau zur falschen Zeit<br />

In der Zwischenzeit unterminierten meine Lehrer für Staatsbürgerkunde<br />

erfolgreich die halb faschistischen, halb radikalen Arbeiterklasse‐Einstellungen,<br />

die ich von meinen Verwandten übernommen hatte. Für eine Weile hatten sie<br />

mich fast (aber nicht ganz) in einen weiteren Mittelklasse‐Liberalen, wie sie<br />

selber es waren, verwandelt. Sie überzeugten mich wirklich von den meisten<br />

liberalen Doktrinen der Zeit – was nicht schwierig war, wenn man an die<br />

Überzeugung meines Vaters denkt, dass die Firmen immer dann die Arbeiter<br />

auspressten, wenn die Arbeiter keine starke Gewerkschaft hatten, um sie zu<br />

beschützen. Aber die Liberalen, die Staatsbürgerkunde lehrten (ich glaube, die<br />

Brooklyn Tech hatte eine Regel, dass kein Konservativer das Fach unterrichten<br />

dürfe), überzeugten mich nie von der Unschuld des Ehr. F. D. Roosevelt bei Pearl<br />

Harbor. Onkel Micks Antisemitismus erschien mir jetzt peinlich (ich wünschte,<br />

er wäre nicht mein Verwandter), aber sein ärgerlicher Zynismus über die<br />

offizielle Regierungspropaganda und die Schrecken, die er im Ersten Weltkrieg<br />

gesehen hatte, hatten Spuren in meinem Geist hinterlassen. Ich las verstohlen die<br />

verabscheuten und verbotenen “revisionistischen“ Historiker – besonders<br />

Charles Beard, James J. Martin und Harry Elmer Barnes – und entschied, dass die<br />

Liberalen in den meisten Punkten Recht hatten, außer in dem Punkt, wie<br />

kapitalistische Kriege begannen.<br />

Um diese Zeit herum fing ich an, Orson Welles‘ Kolumne in der New York Post<br />

zu lesen. Orson war halb im Exil von Hollywood – da die Hearstfamilie ihm nie<br />

wegen Citizen Kane vergeben habe, sagte mir einer meiner Lehrer für<br />

Staatsbürgerkunde – und während er an einem neuen Broadwaystück arbeitete,<br />

entlud er sich einiger Gedanken über den Kalten Krieg, die so ziemlich dem<br />

entsprachen, was ich zu der Zeit spontan dachte.<br />

Über 5 Jahre hatten die Regierung und fast alle Medien darauf bestanden, dass<br />

die Deutschen alle Nazis und alle gleich böse seien, aber die Russen unsere<br />

Freunde waren, auch wenn sie Kommunisten waren. Nun wechselten die<br />

Regierung und fast alle Medien wie das Ministerium der Wahrheit in 1984 die<br />

Richtung. Die Nazis waren alle in Nürnberg gehängt worden (keiner hatte uns<br />

von den zahlreichen Nazis wie General Gehlen und Klaus Barbie erzählt, die<br />

jetzt für die CIA arbeiteten). Die übrigen Deutschen waren jetzt unsere Freunde<br />

und alle gut, aber die Russen waren wieder alle ganz böse geworden und<br />

planten, uns alle eines Tages in die Luft zu sprengen, wenn wir sie nicht in<br />

Unsicherheit hielten, indem wir immer mehr Atombomben bauten.<br />

Diese die Russen und Deutschen betreffende völlige Umkehrung des<br />

offiziellen Realitätstunnels passierte, als ich zwischen 13 und 14 war, und ich<br />

glaubte es nie so ganz. Es schien mir, dass die Regierung dachte, wir seien alle<br />

dümmer als Spielzeugpudel und hätten nicht genug Neuronen, um uns von

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