Phänomen-Verlag Norina Ebele
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“Aber warum hat sie sich nicht geduckt?“<br />
Am 4. Oktober 1985 produzierte Herr Justice Lynch nach langen Wehen seine<br />
erste Kopfgeburt – einen abschließenden Bericht über die Kerry‐Babys. Er<br />
entschied, den forensischen Beweisen folgend, dass das Cahiriciveen‐Baby nicht<br />
das Kind von Joanne Hayes und dass das Baby von Abbeydorney ihres war. Er<br />
entschied weiterhin, den forensischen Beweisen widersprechend, dass Joanne<br />
das Abbeydorney‐Kind erwürgt hatte. (Ihr erinnert euch, dass die Ärzte<br />
behauptet hatten, es sei tot geboren worden.) Die Polizisten hatten so kein völlig<br />
falsches Geständnis erhalten, nur ein teilweise falsches.<br />
Bei den zahlreichen anderen Konflikten zwischen den Polizisten und der<br />
Hayes‐Familie vertrat Richter Lynch die Auffassung, dass die Polizisten “zu viel<br />
des Guten getan hatten“, aber dass die Hayes‐Leute “unverfrorene Lügner“<br />
waren.<br />
Er empfahl auf keiner der beiden Seiten eine Verfolgung wegen Meineids und<br />
schlug vor, keine weitere Anklage gegen Joanne wegen Kindsmords zu erheben<br />
(vielleicht, weil er sich daran erinnerte, dass der forensische Beweis seinem<br />
Urteil widersprach?). Er gab keinen Kommentar zu dem eigentlichen Thema ab,<br />
das zu untersuchen der Justizminister ihn ernannt hatte – wie die Polizisten<br />
sechs Leute überzeugt hatten zu gestehen, ein Baby erstochen zu haben, das sie<br />
nie gesehen hatten.<br />
In der nächsten Woche forderte ein (männliches) Mitglied von Dial hEirann<br />
(dem irischen Parlament), Lynch müsse wegen Amtsvergehens angeklagt<br />
werden. Dutzende Zeitungsartikel und sechs Bücher dokumentierten in<br />
erschöpfender Länge, dass die Beweise seinem Urteil in fast allen Details<br />
widersprachen.<br />
Während sich der kalte, dunkle Herbst 1985 niederließ, wurden die Statuen<br />
von Irland ruhiger, und die Massen an den Schreinen wurden weniger. Dann, im<br />
späten Oktober, griffen drei Protestanten aus der Slum‐artigen Innenstadt von<br />
Dublin die Jungfrau von Ballinspittle mit einem Hammer an und zerschlugen ihr<br />
Gesicht ziemlich übel. Dann wandten sie sich einer kleine Menge katholischer<br />
Gläubiger zu und beschimpften sie als “abergläubische Götzenanbeter“.<br />
Am nächsten Tag ging im zynischen Dublin ein Witz um: “Warum hat sie sich<br />
nicht geduckt?“ Aber die Zahl der Verehrer am Schrein nahm wieder zu, und für<br />
eine Weile wurden weitere Visionen gemeldet. Mit dem Winter kam die wirklich<br />
fiese irische Kälte über uns, und keiner ging zu den Schreinen. Die Hayes‐<br />
Familie, so wurde berichtet, hatte wenig Glück mit ihrer Ernte gehabt und ging<br />
nun “stempeln“ – sie bekam Regierungsunterstützung.<br />
Es wurde nie jemand dafür verhaftet, das Cahiriciveen‐Baby getötet zu haben,<br />
obwohl die Polizisten wegen einer möglichen Verdächtigen eine Zeit lang in<br />
Aufregung waren – eine holländische Frau, die in Kerry lebte und während der<br />
Hayes‐Gerichtsverhandlung Selbstmord begangen hatte. Leider war ihr<br />
Tagebuch nur voller erschreckender Fantasien über einen Nuklearkrieg und<br />
berichtete von keinen sexuellen Affären, keiner Schwangerschaft, keinem