Phänomen-Verlag Norina Ebele
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Kindsmord... & Gerüchte über schwarze<br />
Magie<br />
Nach zwei Jahren in Irland erschien es mir immer noch wunderbar, aber nicht<br />
mehr ganz so mystisch und mysteriös. Arlen und ich lebten in Howth, einem<br />
kleinen Fischerdorf, einer Künstlerkolonie nördlich von Dublin, die im ersten<br />
Satz von Finnegans Wake erwähnt wird:<br />
... zurück zur Howth‐Burg und Umgebung.<br />
Nach über 30 Jahren Studium des guten Buches war ich schließlich aus dem<br />
nicht gekennzeichneten Zustand in den gekennzeichneten (in der Terminologie<br />
von G. Spencer Browns Laws of Form) gewechselt und fand mich selbst in seinem<br />
ersten Satz lebend wieder.<br />
Dann trat der Fall des Kerry‐Babys auf, und das ganze Land fing an, mich mit<br />
einer klassischen anthropologischen Demonstration zu beliefern, dass man<br />
niemals eine Kultur völlig verstehen kann, in der man nicht aufgewachsen ist.<br />
Es begann am 14. April 1984, als der Körper eines neugeborenen Jungen am<br />
Strand bei Cahiriciveen, im Südwesten des County Kerry, gefunden wurde,<br />
gestorben an 28 Stichwunden.<br />
Wenn man versucht sich vorzustellen, dass man ein Mal auf ein Baby einsticht,<br />
wird man Abscheu und Ekel empfinden; versucht man aber, sich jemanden<br />
vorzustellen, der in der Lage ist, 28‐mal auf ein Baby einzustechen, und versucht<br />
man wirklich, den Geist dessen zu verstehen, der so etwas tun kann, wird einem<br />
schwindelig und man empfindet nur noch blanken Horror. Natürlich gingen<br />
bald Gerüchte von Satanismus und Menschenopfer unter den Bauern um (Kerry<br />
ist fast völlig ländlich); aber das war nur die Ouvertüre zu der bösartigen Fiesta,<br />
die folgte.<br />
Nachdem das Cahiriciveen‐Baby gefunden worden war, verbrachte die irische<br />
Polizei (im Allgemeinen die Guards (Wächter) genannt, obwohl das korrekte<br />
irische Wort gardai ist) nicht viel Zeit damit, unter den Betten nach Satanisten zu<br />
suchen.<br />
Sie suchten ganz intelligent nach einer unverheirateten Frau, die sichtbar<br />
schwanger gewesen war und nicht mehr schwanger war.<br />
In einem katholischen Land, in dem Abtreibung illegal ist, macht das Sinn. Ich<br />
hatte das herausgefunden, als ich Recherchen für einen Artikel über “die<br />
Abtreibungslage in Irland“ gemacht hatte. Ich hatte eine Frau aus dem Well<br />
Woman Center in Dublin interviewt, die englische Abtreibungen für Irinnen<br />
organisierte. Sie hatte mir erzählt, dass “man an Orten wie Kerry noch nie von<br />
Zentren wie diesem hier gehört hat. Kindsmord ist ihre Form der Abtreibung.“<br />
Am 1. Mai 1984 fanden die Polizisten eine Joanne Hayes, 25, aus Abbeydorney,<br />
ca. 70 Meilen von Cahiriciveen. Die Polizisten fanden auch heraus, dass der<br />
örtliche Tratsch der Meinung war, dass Joanne eine Affäre mit einem<br />
verheirateten Mann gehabt hatte, Jeremiah Locke; dass sie einigen Nachbarn als<br />
schwanger erschienen war; und dass sie am 15. April auf die Folgen einer<br />
Fehlgeburt hin behandelt worden war – einen Tag, nachdem das Cahiriciveen‐