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Phänomen-Verlag Norina Ebele

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einem Tag zum nächsten daran zu erinnern, wen wir hassen sollten.<br />

Orson betrachtete den Kalten Krieg außerdem als Klepper und sagte das in<br />

seiner Kolumne auch mit Witz und Nachdruck. Zudem machte er eine große<br />

Bühnenproduktion, die ich sah – In 80 Tagen um die Welt. Es war eine Musical‐<br />

Komödie mit 20 Szenen im ersten Akt und 14 im zweiten. Es schloss einen<br />

chinesischen Zirkus, ein Zugunglück und eine Szene mit ein, in der Filme<br />

benutzt wurden, bei denen die Schauspieler auf der Bühne mit den<br />

Schauspielern im Film interagierten. Orson spielte ein Dutzend Charaktere,<br />

einschließlich eines chinesischen Magiers und eines westlichen Pistolenhelden.<br />

Es war ganz anders als seine sonstigen Filme, aber es machte Spaß und machte<br />

die Musical‐Komödie auf der Bühne fast so spektakulär wie Hollywood es bot.<br />

Seine politischen Kolumnen hatten seine Liste an Feinden verlängert. Bald gab<br />

es in diesem Land keine Arbeit mehr für ihn, und ich sah viele Jahre lang keinen<br />

anderen Welles‐Film – und dann kam er aus Europa.<br />

Er war nur eines der ersten einheimischen Opfer des Kalten Krieges. Jeder, der<br />

versuchte den New‐Deal‐Liberalismus in die späten 40er und frühen 50er zu<br />

bewahren, kam schließlich ohne Lebensunterhalt auf die schwarze Liste und<br />

wurde in den Hearst‐ und Luce‐Publikationen mit Dreck beworfen. (Life, das<br />

1938 Welles‘ Bühnen‐Macbeth ausgiebig gepriesen hatte, brachte jetzt unter der<br />

Überschrift “Orson Welles ermordet hinterhältig Shakespeare“ eine gehässige<br />

Rezension seiner Filmversion.) Henry Wallace, der frühere<br />

Landwirtschaftsminister, wurde als “Kommunist“ verunglimpft und mit<br />

Tomaten beworfen, als er sich um die Präsidentschaft bewarb. Professionelle<br />

Spitzel verdienten Vollzeit‐Löhne, indem sie Leuten vorwarfen, Kommunisten<br />

zu sein oder gewesen zu sein, und vor den Kongresskomitees unter größtem<br />

Medieninteresse Anschuldigungen vorbrachten. Die Verteidigung jeglichen<br />

liberalen Zieles garantierte praktisch, dass man auf ihre Abschussliste kam.<br />

Ein Kerl namens Harvey Matusow lebte einige Jahre davon, dass er Leute, die<br />

er gekannt hatte, als er in der Partei war, als Kommunisten identifizierte. Dann<br />

gab er plötzlich zu, dass er nie in der kommunistischen Partei gewesen war und<br />

alles in seinem reichen slawischen Fantasieleben erfunden hatte. Jeder war<br />

wütend auf ihn – die Linken und die Rechten – und schließlich ging er wegen<br />

Meineids ins Gefängnis.<br />

Als er aus dem Gefängnis kam, machte Harvey einen Dokumentarfilm über<br />

seine Abenteuer, den ich mir ansah. Zum großen Teil ging es um seine<br />

Zeugenaussage über die „schnurlose Jo‐Jo‐Gesellschaft“, von der er behauptet<br />

hatte, dass sie von der kommunistischen Partei geführt wurde. Keiner der<br />

Kongressleute, die die Aussage hörten, fragte ihn, was zum Teufel ein<br />

schnurloser Jo‐Jo sei.<br />

Den Film könnte es immer noch geben. Er heißt The Stringless Yo‐yo, und ich<br />

empfehle ihn wärmstens jedem, der verstehen will, wie Politik funktioniert.<br />

Die sorgfältig hervorgerufene Hysterie und Hexenjagd, die Matusow<br />

ausgenutzt und dann in seiner Satire umgesetzt hatte, erinnerte mich an die<br />

ganzen Anti‐Nazi‐Filme, die ich gesehen hatte, aber jetzt passierte es in meinem<br />

eigenen Land.<br />

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