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Phänomen-Verlag Norina Ebele

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Sie hatte die Augen einer Heiligen<br />

Arlen und ich kamen während der Bloomsday‐Feiern (16. Juni 1982) nach<br />

Dublin, und alles schien “hervorgehoben“, “leuchtend“, “psychedelisch“, realer<br />

als real, da ich bereits alle Geschäftsnamen und Straßen aus Joyces Romanen<br />

kannte – und weil ich nicht aufhören konnte, daran zu denken, dass ich,<br />

statistisch gesehen, zumindest zeitweilig in den genauen Fußspuren meines<br />

Großvaters, Alexander Wilson, ging, der nur 100 Jahre früher im Jahre 1882 von<br />

hier aus nach Brooklyn aufgebrochen war.<br />

Das war das Jahr, in dem Jesus James der Joyce geboren wurde – und die<br />

Unbesiegbaren, angeführt von Joe Brady, zwei englische Beamte im Phoenix<br />

Park im Westen Dublins ermordeten. Merkwürdigerweise war das auch das Jahr,<br />

in dem die Französische Wissenschaftliche Akademie verkündete, dass sie keine<br />

Versuche, die Quadratur des Kreises zu finden, mehr untersuchen würde.<br />

Aber 1982 erinnerte man sich nicht an die Unbesiegbaren. Der 16. Juni war<br />

Joyces Tag in Dublin. RTE (Radio Telefis hEirann) sendete seine monumentale, 20<br />

Stunden dauernde dramatische Lesung von Ulysses, Siobhon McKenna bot an<br />

diesem Abend im Abbey Theatre eine weitere dramatische Aufführung von<br />

mehreren von Joyces Frauenfiguren, Eamon Morissey spielte um die Ecke im<br />

Peacock Theatre einige von Joyces Männerfiguren, eine neue Statue von Joyce<br />

wurde im Stephen‘s Green enthüllt (unter den Blicken des Oberbürgermeisters<br />

von Dublin und des Präsidenten von Irland), und zwischen 3 und 4 Uhr<br />

nachmittags führten ungefähr einhundert Schauspieler das “Wandernde Steine“‐<br />

Kapitel aus Ulysses auf, an den Schauplätzen der 19 verschiedenen Straßen, wo<br />

Joyce diese Szenen spielen ließ.<br />

Diese “Wandernde Steine“‐Aufführung war das Joyce‘ste Ereignis des Tages,<br />

da niemand außer Gott alles sehen konnte, genau wie niemand außer Gott alles<br />

in Joyce‘ Roman verstehen kann. Die Handlungen dieser 19 Mini‐Episoden<br />

überschneiden sich zeitlich, da sie synchron angeordnet sind, und für einen<br />

einfachen Menschen war es unmöglich, mehr als ein paar zu sehen. In der<br />

Zwischenzeit, um zur Belustigung beizutragen, trugen Hunderte von Leuten –<br />

mich und Arlen eingeschlossen – Radios mit sich und hörten der Lesung des<br />

Romans zu, die sich mit der aktuellen Vorführung amüsant überschnitt.<br />

Das Enthüllen noch einer Statue von Joyce in Stephen‘s Green in der<br />

Anwesenheit so vieler Würdenträger erfreute besonders mich. Ich hatte gerade<br />

die lang unterdrückten erotischen Briefe gelesen, die Joyce an Nora Barnacle<br />

geschrieben hatte, als sie 1909 getrennt waren (er war zeitweilig nach Dublin<br />

zurückgekehrt, um zu versuchen, das erste Kino in Irland zu gründen, und sie<br />

war mit ihren Kindern in Triest zurückgeblieben) 13 , und die Briefe zeigen genau,<br />

warum Joyce den 16. Juni 1904 als das Datum ausgewählt hatte, das in seinem<br />

13. Einer meiner Großväter kam aus Dublin, der andere aus Triest. Joyce ver‐<br />

brachte seine ersten 22 Jahre in Dublin und die nächsten 11 in Triest. Lustiger<br />

Zufall.<br />

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