Phänomen-Verlag Norina Ebele
Phänomen-Verlag Norina Ebele
Phänomen-Verlag Norina Ebele
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Genetische Vektoren<br />
Ein Netz aus DNA<br />
Kann irgendetwas lächerlicher sein, als dass ein Mann das Recht haben sollte, mich<br />
zu töten, weil er auf der anderen Seite des Flusses lebt und weil sein Herrscher einen<br />
Streit mit meinem hat, obwohl ich keinen mit ihm habe?<br />
– Pascal<br />
Ich habe Gerrison Beach, wo ich aufwuchs, als irisch‐katholisches Ghetto<br />
bezeichnet. Das zeigt, wie linguistische Kategorien täuschen und die Erinnerung<br />
verwischen.<br />
Wenn ich noch einmal darüber nachdenke, beginne ich mich zu erinnern, dass<br />
nicht jeder in Gerrison Beach völlig in die Kategorie irisch‐katholisch gehörte.<br />
Zum Beispiel hatte sogar meine Mutter nur eine halb‐irische Abstammung: Ihre<br />
Mutter, Anna McVey, scheint schottisch‐irisch gewesen zu sein, aber mein<br />
Großvater mütterlicherseits, Anton Milli, stammte aus Triest – eine Stadt, die in<br />
den Gangkriegen der senilen Delinquenten, die unseren Planeten befehligen, so<br />
oft hin und her geschoben wurde, dass sie inzwischen Räder haben sollte. Triest<br />
hat in diesem Jahrhundert zu Italien, Österreich und Jugoslawien gehört und<br />
war Teil des ‘österreichisch‐ungarischen Reiches‘, als Anton im letzten<br />
Jahrhundert wegging.<br />
Egal, auch wenn er nicht irisch war, ging der alte Anton als katholisch durch,<br />
obwohl halb vom Glauben abgefallen (er erzählte meiner Mutter einmal, dass er<br />
nicht an die Hölle glaubte), und arbeitete als Schmied.<br />
Ich scheine von Anton dem Schmied zwei Meme – Teile semantischen oder<br />
kulturellen Erbes – ‘geerbt‘ zu haben. Das erste ist eine Art zynischer Pazifismus,<br />
oder was man einen schamlosen Mangel an Patriotismus nennen könnte. Die<br />
ganze Familie wusste, dass Anton das österreichisch‐ungarische Reich verlassen<br />
hatte, um dem Militärdienst zu entgehen, und als ein Zeichen seiner Weisheit<br />
war er stolz auf diese Tatsache. Das Beste an Amerika, sagte er meiner Mutter,<br />
sei, dass wir hier keinen Pflichtwehrdienst hätten.<br />
Seine andere Hinterlassenschaft an mich war ein wenig österreichische<br />
Volksdichtung, die er meiner Mutter beigebracht hatte, die es mir beibrachte:<br />
Eins, zwei, drei, vier, funf, sechs, sieben:<br />
Wo is meine Schatz geblieben?<br />
Er ist nicht heir, er ist nicht da,<br />
Er muss‘ steh‘ nach Amerika!<br />
Obwohl ich meinen mittleren Namen von ihm habe, weiß ich nicht viel mehr<br />
über Anton, als was ich gerade geschrieben habe. Er starb vor meiner Geburt. Es<br />
ist aber doch nett zu wissen, dass der alte Kerl mutig genug war, ein<br />
9