Phänomen-Verlag Norina Ebele

ein Modell brauchen. Wann immer die Leute sicher sind, dass sie unsere
einzigartige Situation hier auf diesem Planeten verstehen, geschieht das
deswegen, weil sie einen religiösen Glauben oder eine säkulare Ideologie
übernommen haben (Ideologien sind die modernen Formen des Glaubens) und
aufgehört haben zu denken. Wenn man nicht aufhört zu denken, wird man
schließlich dem Chaos gegenüberstehen, dem schließlich jeder meiner Helden
und Heldinnen gegenübersteht.
ROC: Sie scheinen alle Ihre Charaktere in Situationen zu stoßen, nicht nur der
körperlichen Gefahr, sondern des psychologischen Notfalls. Sie alle scheinen den
Punkt zu erreichen, an dem sie fast zerbrechen. Warum?
WILSON: Nun, man kann echte körperliche Angst auf der gedruckten Seite
nicht wirklich vermitteln; man kann sich ihr nur nähern. Nur die große Oper und
Filme, die alle Nervenzentren auf einmal ansprechen, können die Zuschauer mit
direktem Melodrama wirklich umhauen. Ein Indiana Jones, der im Film von
einer Klippe hängt, kann einen auf eine Weise treffen, wie er es im geschriebenen
Wort nie kann. Bücher können auf dieser Ebene nicht mithalten. Aber Bücher
können eine unheimliche Atmosphäre hervorrufen, eine psychologische Malaise,
die man nicht auf die Bühne oder den Bildschirm bringen kann. Wenn zum
Beispiel dein Held nicht nur im Gefängnis sitzt und auf die Hinrichtung wartet,
sondern dann auch noch von einer offiziellen Person besucht wird, die ihm ein
Geschäft anbietet, das eine verwickelte Geschichte werden könnte... und wenn
deine Figur sich Sorgen macht, dass diese offizielle Person eine Halluzination
sein könnte, weil jeder, der sich zu lange in Isolation befindet, halluzinieren
wird, und wenn du dann andeutest, dass der Besucher tatsächlich ein Dämon
oder ein außerirdischer Zoowärter sein könnte, dann teilt der Leser bald den
Zweifel und die Angst der Figur. Besonders, wenn du es vorbereitet hast, indem
du einige gute Argumente geliefert hast, dass jeder Geist, einschließlich der des
Lesers, zerbrechen und unter ausreichendem Stress anfangen kann zu
halluzinieren, und dass die Begründung für die Existenz von Dämonen und
Außerirdischen überzeugender ist, als uns im Allgemeinen bewusst ist... Sehen
Sie? Die tiefste Furcht ist die Furcht, dass man seinem eigenen Geist nicht trauen
kann – dass die eigene psychische Gesundheit verloren geht, oder zumindest
dass die eigenen Ideen nicht ausreichen, um zu erklären, was um einen herum
geschieht. Seit 1750 hat das die ganze menschliche Rasse bis zu einem
bestimmten Punkt erlebt, als die industrielle Revolution begann, die Dogmen
und Traditionen aufzubrechen, die uns seit dem Bronzezeitalter beherrscht
haben.
ROC: Eine Konspiration dient Ihnen dann überwiegend als Metapher? Ein
Weg, um die Unsicherheit und Ambiguität der modernen Welt zu vermitteln?
WILSON: Zu einem großen Teil schon. Eine Welt heimlicher Gruppen, die mit
verdeckten Operationen beschäftigt sind, ist eine Welt der Unsicherheit. Um zu
versuchen, das zu verstehen, muss man wie ein Quantenphysiker denken – in
Kategorien von Ungewissheit und Wahrscheinlichkeit, nicht in Kategorien
religiöser oder ideologischer Dogmen. Die Zeit, die ich ausgewählt habe, 1750‐
2000 n. Chr., ist die Zeit, in der die Sicherheit starb und immer mehr Leute mit
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