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Phänomen-Verlag Norina Ebele

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und Kapitalismus gleichermaßen feindselig gegenüberstanden; ihre Einstellung<br />

war reiner Anarchismus oder Nihilismus oder vielleicht einfach tiefer Zynismus<br />

allen Politikern gegenüber.<br />

“Meinst du, sie wird jemals fallen? Während unserer Zeit?“, fragte ich.<br />

“Nein“, sagte Tobias bitter. “Nicht in meiner Zeit...“<br />

Aber das war 1986, und 1989 fragte jeder in Zürich, wie bald die Mauer wohl<br />

fallen würde. Ich dachte an Fraktale, diese völlig unvorhersagbaren<br />

mathematischen Funktionen, die vor kurzem in einer Wissenschaft nach der<br />

anderen entdeckt worden waren.<br />

Im Juni hatte ich in Washington den Vortrag eines Mathematikers, Theodore J.<br />

Gordon, vor der World Future Society gehört, in dem er aufzeigte, dass die<br />

fraktale Unvorhersagbarkeit in jedem System ansteigt, in dem der<br />

Informationsfluss ansteigt. Da es keinen Zweifel gibt, dass der Informationsfluss<br />

sich heutzutage exponentiell erhöht, dachte ich, dass wir in jedem sozialen<br />

System immer mehr fraktale Instabilität sehen würden, und der technische<br />

Begriff dafür ist “Chaos“.<br />

Mathematisches “Chaos“ in sozialen Systemen bedeutet nicht<br />

notwendigerweise Aufstand und Brandstiftung. Es bedeutet einfach nur das<br />

völlig Unerwartete.<br />

Ein solches Chaos kann, so denke ich, durch das Bild des russischen<br />

Bürokraten, der auf Droge ist, symbolisiert werden, das vor allen anderen den<br />

utopischen Traum der 1980er symbolisiert. Aber welche Worte rufen schließlich<br />

besser die ‘90er hervor als Glasnost (Informationsfreiheit) und Perestroika<br />

(Neustrukturierung)?<br />

In Heidelberg hörte ich vom Tod eines Mannes, der mich fasziniert hatte,<br />

obwohl ich ihn wahrscheinlich nie getroffen habe. Ursprünglich hatte ich von<br />

seinen Abenteuern in einem Artikel gelesen, der mir im Sommer 1988 nach<br />

einem Vortrag in Hamburg gegeben worden war. Es war die schlechte Kopie<br />

eines Artikels von Clifford Stoll vom Lawrence Berkeley Laboratorium mit dem<br />

Titel “Stalking the Wily Hacker“ 56 (Communications of the Association of Computing<br />

Machinery, Vol. 31, No. 3). Der Mann, der mir den Artikel gab, sagte nur: “Das<br />

wird Sie amüsieren.“<br />

Stolls Artikel behandelte einen deutschen Hacker, der von seinem Zuhause in<br />

Hannover aus jeden Teil des amerikanischen Verteidigungssystems<br />

durchdrungen hatte. Er hatte die Computer der LBL und Lawrence Livermore<br />

durchstöbert, des Naval Data Centers in Norfolk und weiter durch so ziemlich<br />

jedes angeblich “sichere“ System der USA. Die amerikanischen Geheimdienste<br />

brauchten eineinhalb Jahre, um ihn aufzuspüren, und dann weigerten sich<br />

merkwürdigerweise die deutschen Behörden aufgrund “fehlender Beweise“, ihn<br />

gerichtlich zu belangen.<br />

Irgendwie hatte ich die Intuition oder den Verdacht, dass der Mann, der mir<br />

den Artikel gegeben hatte, der Hacker war, von dessen Heldentaten er<br />

56. Anm. d. Übers.: „Den listigen Hacker jagen“<br />

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