GESCHICHTESPAZIERGANG „Auf den Spuren jüdischen ... - Erinnern
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5.1.3 Gespräch mit Arik Brauer, Judaistik-Institut<br />
Kindheit und Jugend 76<br />
Arik Brauer wurde 1929 in Wien geboren. Sein Vater stammte aus Litauen und lebte in Wien,<br />
Ottakring, als Schuhmacher. Seine Mutter half im Betrieb mit. Als die Nationalsozialisten<br />
1938 Österreich "anschlossen", wurde Brauers Vater verschleppt und in einem KZ ermordet.<br />
Sein Vater "glaubte an die deutsche Kultur". Er kannte alle Schiller-Balla<strong>den</strong> auswendig, er<br />
glaubte nicht, "dass Nazis so grausam sein können." Er dachte, das all das, was nach dem<br />
Anschluss geschah, rasch vorbeigehen müsse, dass dies unkontrollierte Auswüchse seien, die<br />
die neuen Machthaber, die Nazis, rasch abstellen wür<strong>den</strong>. Er irrte sich. Die Nazis "haben ihn<br />
zu Seife gemacht." (Zitat: Brauer)<br />
Arik selbst und seine Mutter überlebten – mehr oder weniger versteckt – in Wien. Aus ihrer<br />
Wohnung wur<strong>den</strong> sie rausgeschmissen, der Schuhmacher-Betrieb arisiert. Der neue<br />
Eigentümer stellte jedoch Ariks Mutter verbotenerweise wieder an, was der Familie letztlich<br />
das überleben in Wien ermöglichte. Denn allein mit Essensmarken, die <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> in Wien<br />
zugeteilt wur<strong>den</strong>, konnte man, so Brauer, nicht lange überleben.<br />
Nationalsozialismus in Wien<br />
Arik Brauer verbrachte also die gesamte NS-Zeit in Wien. Anfangs wurde er noch ab und zu<br />
schikaniert, doch sobald er <strong>den</strong> gelben Davidstern gut sichtbar an der Kleidung tragen<br />
musste, ließen ihn die Leute weitgehend in Ruhe, machten eher einen Bogen um ihn. Das war<br />
<strong>den</strong> Leuten dann doch "zu steil", "so mittelalterlich", meinte Brauer. Diese "Brandmarkung"<br />
sollte sicherstellen, dass Ju<strong>den</strong> sofort erkannt wer<strong>den</strong> und nirgends hingelangten, wo sie<br />
nicht hindurften – was so ziemlich alles war, vom Straßenbahnfahren über <strong>den</strong> Schulbesuch<br />
bis zum Einkaufen oder dem Kinobesuch (sofern man überhaupt noch Geld gehabt hätte).<br />
Allerdings erkennt man, trotz aller Klischees, einen Ju<strong>den</strong> nicht unbedingt am Aussehen.<br />
Und abgesehen davon sah Brauer auch nicht besonders "jüdisch" aus. Also zog er seine<br />
Jacke, auf der der Davidstern befestigt war, einfach verkehrt an, wenn er als Kind, das ja<br />
mangels Schulbesuch nicht viel zu tun hatte <strong>den</strong> ganzen Tag, irgendwo hinging, wo er<br />
eigentlich nicht hindurfte. Etwa, wenn er ins Kino ging.<br />
Ob die Wiener wussten, was mit <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> geschieht, die weggebracht wer<strong>den</strong>? Laut Brauer<br />
ja, zumindest einen Teil der Wahrheit. Man wusste, dass die Ju<strong>den</strong> nach Theresienstadt und<br />
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