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GESCHICHTESPAZIERGANG „Auf den Spuren jüdischen ... - Erinnern

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und schlecht ernährt. Er stieg mir von Zeit zu Zeit hinten auf die Fersen und ich hatte nur<br />

Holzsandalen. Wir kamen zu einem Hydranten und ich wollte trinken. Er fing an zu<br />

schreien und da kam eine uralte Frau und sagte zu ihm: „Schamst dich nicht, du<br />

Arschloch!" Er war dann wie paralysiert und wir kamen heil in der Hinterbrühl an.<br />

„W. Z.": Wann erfuhren Sie, dass Ihr Vater, der deportiert wurde, in Riga umgekommen<br />

ist?<br />

Brauer: Bis zum Ende des Krieges hofften wir, dass er überleben würde, <strong>den</strong>n er machte<br />

Schuhe für Bonzen, die ihn auch eine Zeitlang schützten. Einmal brachte uns ein Soldat<br />

einen Brief von ihm, in dem stand, dass es ihm gut geht, dass er einen besonderen<br />

Schutz genießt, aber dass wir unbedingt in Wien bleiben sollen. Nach dem Krieg träumte<br />

ich auch sehr viel von meinem Vater, aber er kam nicht<br />

zurück.<br />

„W. Z.": Warum konnten Sie mit Ihren Kindern nie darüber sprechen?<br />

Brauer: Diese Generation ist aufgewachsen in Freiheit, und für sie ist es unverständlich,<br />

warum wir uns das gefallen ließen. Denn genauer betrachtet, was machte ich? Einen<br />

Hühnerstall für Herrn Rixinger, das ist kein besonderer Widerstand. Es ist eigentlich eine<br />

Schande. In Auschwitz arbeiteten sie für die Rüstungsindustrie, und Ähnliches kann man<br />

auch von <strong>den</strong> deutschen Soldaten sagen. Wir ließen uns einspannen, aber natürlich, ich<br />

war ein Kind, und hatte keine Ahnung, was sich politisch und historisch abspielte. Das<br />

macht es so schwer für die Opfer, mit einer neuen Generation darüber<br />

zu sprechen.<br />

„W. Z.": Aber auch Sie wur<strong>den</strong> dann „ausgehoben"?<br />

Brauer: Ja, meine Kennkarte wurde zerrissen und ich war für <strong>den</strong> nächsten Transport<br />

vorgesehen. Da ich <strong>den</strong> Ostbahnhof gut kannte, konnte ich weglaufen und war dann die<br />

letzten Wochen versteckt in<br />

einem Schrebergarten.<br />

Wir wussten bis zum Schluss nicht, was uns erwartet. Es war die Rede von Gaskammern,<br />

aber niemand glaubte es. Dass die Geistesgestörten ermordet wur<strong>den</strong>, das wussten die<br />

Wiener, aber von <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> glaubte man, dass sie im Osten arbeiten mussten. Auch wir<br />

glaubten das anfangs. Später erfuhren wir aus Theresienstadt, dass die Menschen dort<br />

hungerten, und sogar mit unseren knappen Rationen schickten wir<br />

Pakete dorthin.<br />

„W. Z.": Sprachen Sie später auch in Schulen darüber?<br />

Brauer: Manchmal. Aber jenen Teil der Jugend, der gefährdet ist, <strong>den</strong> kann man dadurch<br />

nicht erreichen. Sie <strong>den</strong>ken sich, ich bin ja kein Jude und mir kann daher nichts<br />

passieren. Die müssten ganz anders angesprochen wer<strong>den</strong>, von SS-Männern oder von<br />

Soldaten, die erzählen, wie schlecht es ihnen ergangen ist, wie man sie wie Dreck<br />

behandelt hat. Was dem eigenen Volk vom System angetan wurde, das kommt nicht<br />

heraus. Es wird immer auseinanderdividiert zwischen Opfern und Tätern.<br />

„W. Z.": Wie hieß die Jugendgruppe, in der Sie nach 1945 waren?<br />

Brauer: Das war die Freie österreichische Jugend, in Wirklichkeit ein kommunistischer<br />

Jugendverband. Viele Emigranten aus England kamen zurück nach Österreich. Sie hatten<br />

die Hoffnung, dass durch die Anwesenheit der sowjetischen Besatzungsmacht der<br />

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