Islamistische und jihadistische Akteure in den Partnerländern ... - GIZ
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Die Hamas im Gazastreifen<br />
Gesellschaftspolitisch ist die Hamas konservativ: Alkoholgenuss<br />
ist untersagt, Geschlechtertrennung auf<br />
öffentlichen Veranstaltungen <strong>und</strong> dezente Bekleidung<br />
für Frauen <strong>und</strong> Männer im öffentlichen Leben<br />
wer<strong>den</strong> befürwortet. Die widersprüchliche Def<strong>in</strong>ition<br />
der Rolle der Frau sche<strong>in</strong>t, ähnlich wie bei <strong>den</strong><br />
Muslimbrüdern Ägyptens, <strong>in</strong>ternen Diskussionen<br />
zwischen konservativen <strong>und</strong> progressiven Kräften geschuldet.<br />
So wird im 12. Programmpunkt e<strong>in</strong>erseits<br />
die Frau vorrangig im familiären Umfeld situiert,<br />
gleichzeitig jedoch ihre zentrale Rolle im politischen<br />
Widerstand <strong>und</strong> im öffentlichen Leben betont. Die<br />
Scharia wird als Hauptquelle der Rechtsf<strong>in</strong>dung verstan<strong>den</strong>,<br />
die <strong>den</strong> Schutz aller Bürger ohne Ausnahme<br />
(Punkt 6) sowie das friedliche Zusammenleben von<br />
muslimischen <strong>und</strong> christlichen Paläst<strong>in</strong>ensern garantieren<br />
soll (Punkt 11).<br />
Politisch situiert sich die Hamas als Alternative zur<br />
Fatah, strebt nach Korruptionsbekämpfung sowie<br />
politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Reformen, die zu<br />
wirtschaftlicher Entwicklung führen sollen. Das<br />
Programm bekennt sich zu Rechtsstaatlichkeit, zur<br />
Gewaltenteilung <strong>und</strong> zur E<strong>in</strong>haltung von Menschenrechten.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs bleibt der konkrete Gehalt<br />
von abstrakten Konzepten wie Menschenrechten im<br />
Alltag konkretisierungsbedürftig.<br />
5. Bedeutung der Hamas für die EZ<br />
Die EU, die USA <strong>und</strong> Japan betrachten die Hamas<br />
derzeit als „terroristische Organisation“; damit verbietet<br />
sich die Kooperation mit ihr für die deutsche EZ<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich. In der deutschen wie <strong>in</strong>ternationalen<br />
Forschungsgeme<strong>in</strong>de wer<strong>den</strong> jedoch starke Zweifel<br />
an der S<strong>in</strong>nhaftigkeit dieser Klassifikation <strong>und</strong> der<br />
durch sie begründeten Politik geäußert. So stellt Asseburg<br />
(2010: 4; ähnlich: Brön<strong>in</strong>g 2011, 45-55) fest:<br />
„E<strong>in</strong>e Fortführung der Isolationspolitik, wie sie 2006<br />
vom Nahostquartett beschlossen wurde, ergibt ke<strong>in</strong>en<br />
S<strong>in</strong>n. Diese Politik ist sowohl von der europäischen öffentlichen<br />
Me<strong>in</strong>ung als auch von politischen Eliten zunehmend<br />
als Fehler erkannt wor<strong>den</strong>“.<br />
Nach dieser Lesart sollte die <strong>in</strong>ternationale Geme<strong>in</strong>schaft<br />
<strong>und</strong> damit auch Deutschland <strong>in</strong> Paläst<strong>in</strong>a<br />
deutlich stärker auf die Wahrung des humanitären<br />
Völkerrechts <strong>und</strong> <strong>den</strong> Schutz der Zivilbevölkerung<br />
drängen, anstatt <strong>den</strong> Gazastreifen pauschal als „fe<strong>in</strong>dliches<br />
Territorium“ oder „terroristische Entität“ zu betrachten.<br />
Angesichts ihres nach wie vor beachtlichen<br />
gesellschaftlichen Rückhalts seien offene Kommunikationskanäle<br />
zur Hamas notwendig <strong>und</strong> wären auf<br />
der Arbeitsebene zu wahren bzw. re-etablieren.<br />
Dass sie auf der Liste der terroristischen Organisationen<br />
geführt wird, verbietet laut Europäischem<br />
Rat zwar die f<strong>in</strong>anzielle Zusammenarbeit mit der<br />
Hamas, nicht aber Kontakte zu ihr (Europäischer<br />
Rat 2001). Gerade um die katastrophale humanitäre<br />
Situation im Gazastreifen zu verbessern stellt ihre<br />
Isolierung nach Ansicht vieler <strong>in</strong>ternationaler Beobachter<br />
ke<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle Option dar, <strong>den</strong>n die Hamas<br />
kann dort effektiv als Vetospieler agieren (vgl. z. B.<br />
Halevy 2010). E<strong>in</strong> M<strong>in</strong>destmaß an Abstimmung mit<br />
der de-facto-Staatsmacht des Gazastreifens ist deshalb<br />
nach überwiegender Expertenme<strong>in</strong>ung kaum<br />
zu vermei<strong>den</strong>.<br />
Mittelfristig könnte sich die Aussicht auf – unter<br />
bestimmte Bed<strong>in</strong>gungen zu stellende – Kooperation<br />
deradikalisierend auf die weitere Entwicklung der<br />
Organisation auswirken <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Policy-Option <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Zukunft darstellen, <strong>in</strong> welcher die EU sich zu<br />
e<strong>in</strong>er Streichung der Hamas von der europäischen<br />
Liste terroristischer Organisationen entschlösse. Dies<br />
bedürfte jedoch e<strong>in</strong>er gr<strong>und</strong>sätzlichen Entscheidung<br />
der europäischen Außenpolitik, die <strong>in</strong> naher Zukunft<br />
kaum zu erwarten ist.<br />
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Von der Hamas mit viel Pomp organisiert: Feier zum Prophetengeburtstag