Johannes Tauler - DAS REICH GOTTES IN UNS - geistiges licht
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DER MENSCH – E<strong>IN</strong> TEMPEL <strong>GOTTES</strong><br />
"Er ging in den Tempel und fing an, auszutreiben, die darin verkauften und kauften. Und sprach:<br />
Mein Haus ist ein Bethaus." Luk. 19; 45 f.<br />
Mit seinem Wort "Mein Haus ist ein Bethaus" lehrte Christus die Seinen, die Kinder Gottes, was sie<br />
zu tun haben, damit ihr innerer Mensch eine Stätte der Hingabe an Gott sei; denn der Mensch ist<br />
seinem Wesen nach ein Tempel Gottes.<br />
Damit unser innerster Seelengrund eine würdige Heimstatt Gottes sei, müssen zuerst die Händler<br />
und Käufer hinausgetrieben werden, nämlich der Ungeist der Eigensucht und des Habenwollens,<br />
des Trachtens und Gierens nach äußeren Gütern, und alles, was dem Eigenwillen des Ich dient.<br />
Dann, wenn alles, was nicht Gottes ist, was Gott ungemäß und ungleich ist, hinausgetrieben ist,<br />
wird die Seele wieder das, was sie ihrem Wesen nach ist: ein Tempel Gottes, in dem Gott in<br />
Wahrheit wohnt.<br />
Wer sind jene, die im Tempel verkaufen und kaufen? Es sind die, die ihre Liebe und Befriedigung in<br />
den Kreaturen und Dingen finden, jene, die, ehe sie einmal an Gott denken, vierzigmal von äußeren<br />
Dingen träumen und so ihren inneren Menschen ganz nach außen ziehen und den Tempel Gottes<br />
entweihen.<br />
Denn daran ist kein Zweifel: Wer will, daß Gott in ihm wohne und wirke, der muß alle Hindernisse,<br />
alles, was nicht seine Ursache in Gott hat oder zu Gott hinführt, aus sich entlassen. Er muß sich<br />
darin üben, immer wieder von den Dingen weg und auf Gott hin zu blicken, bis ihm Gott lieber ist<br />
als alle Dinge. Dann erst ist der Tempel gereinigt, wenn alle Kreaturen und alle Befriedigung durch<br />
sie ausgemerzt sind derart, daß wir sie weder willentlich noch aus Neigung in uns aufnehmen und<br />
behalten.<br />
Alsdann sind wir wahre Kinder Gottes, also solche, die Gott wesentlich und gegenwärtig und<br />
wirkend in sich wissen – in ihrem innersten Seelengrund.<br />
Die dessen ungewiß sind, die haben nur einen gedachten und gemachten Gott. Ihnen entgeht die<br />
lebendige Gegenwart Gottes in ihnen. Sie hängen mehr an den Dingen als an Gott.<br />
Die wahren Kinder Gottes lassen die äußeren Dinge hinfließen, ohne sich tiefer mit ihnen<br />
einzulassen, als ihre Notdurft erfordert, während sie das, dessen sie nicht bedürfen, lassen, ohne<br />
sich damit aufzuhalten. Sie suchen in allem nach Gott und dringen durch alle Schickungen, seien es<br />
gute oder böse, zu Gott. Sie sorgen sich nicht um das, was sie aufhält, widerstehen ihm nicht,<br />
sondern blicken bei alledem auf Gott, suchen ihn allein und bleiben in aller Mannigfaltigkeit ihres<br />
Einsseins mit dem lebendigen Gott in ihnen gewiß.<br />
Wer sich solchermaßen als Tempel Gottes fühlt und der Gegenwart Gottes in ihm gewiß ist, der<br />
wird nicht durch die Dinge und Weisen der äußeren Welt verwirrt und zerstreut, was auch immer<br />
geschehen mag, sondern er weiß sich Gott im Gemüt ganz nahe und bleibt seiner inneren<br />
Gegenwart bewußt. So kann ihn nichts Äußeres entfrieden.<br />
Wo aber ein Mensch von äußeren Dingen und Geschicken entfriedet wird, zeigt das, daß er seiner<br />
Gotteskindschaft und der Gegenwart Gottes im Grunde seiner Seele noch unbewußt ist und daß sein<br />
Denken, Streben und Handeln mehr nach außen, mehr auf die Dinge, ihren Besitz und Genuß<br />
gerichtet ist als auf Gott.<br />
Wenn der Mensch dessen gewahr wird, soll er sich wieder und wieder nach innen wenden, bis sein<br />
Gemüt uneingeschränkt auf Gott gerichtet ist und in allem ihn will und meint, nicht die Dinge,<br />
sondern ihn sucht und, was er tut, Gott zuliebe wirkt – nicht nach seinem Willen, sondern nach<br />
Gottes Willen.