Johannes Tauler - DAS REICH GOTTES IN UNS - geistiges licht
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Was sich aber der Seele im Grunde darbietet, hat weder Bild noch Form, weder Ort noch Weise: es<br />
ist ein unergründlicher Grund, schwebend in sich selbst, und in diesem Grund ist Gottes Wohnung<br />
mehr als irgendwo anders. Wer sich dorthin einsenkt, der findet da Gott und findet sich selbst in<br />
Gott und eins mit Gott. Denn von diesem Grunde scheidet Gott sich nie. Hier ist dem vom inneren<br />
Licht erfüllten Geist Gott gegenwärtig, und die Ewigkeit wird hier empfunden, in der es weder<br />
Vorher noch Nachher gibt.<br />
In diesen Grund vermag kein geschaffenes Licht zu reimen noch zu leuchten: hier ist allein Gottes<br />
Wohnung und Wesen. Alle Kreaturen können diesen Grund weder erfüllen noch ermessen; das<br />
vermag nur Gott selbst in seiner Unermeßlichkeit.<br />
In diesen Gottesgrund gelangt allein der Grund der Seele; hier ruft und verschlingt ein Abgrund den<br />
anderen. Hier ist völliges Einssein. Alles, was der Mensch in seiner Vernunft über die Dreieinigkeit<br />
der Gottheit dachte, gilt hier nicht mehr. Denn hier ist keine Unterscheidung mehr, sondern nur<br />
Einheit.<br />
Wer sich in diesen Grund ganz einsenkt, dem ist, als sei er schon immer und ewig hier gewesen und<br />
als sei er mit ihm eins, obwohl es nicht mehr als ein Augenblick ist; aber solcher Einblick wird als<br />
eine Ewigkeit empfunden und ist ein Zeugnis dafür, daß der Mensch in seiner Ungeschaffenheit<br />
ewig in Gott war. Als er in ihm war, da war er Gott in Gott.<br />
Was der Mensch heute in seiner Geschaffenheit ist, das ist er in Ungeschaffenheit ewig in Gott<br />
gewesen und ist es noch: ein überseiendes Sein mit ihm.<br />
Doch solange der Mensch, nachdem er aus der Ungeschaffenheit in die Geschaffenheit<br />
hinausgeschritten ist, nicht in die innerste Einsamkeit und Lichtheit zurückkehrt, kommt er nicht<br />
wieder in Gott. Bevor nicht alle Neigung nach außen, alles Haften an Zeitlichvergänglichem, alle<br />
Ichheit und alles, was den Seelengrund mit seiner Nichtheit anfüllt und ihn für Gott unempfänglich<br />
gemacht hat, kurz: alles, was nicht Gott ist, völlig daraus entfernt, ausgetilgt und entworden ist,<br />
vermag er nicht zu seinem Ursprung durchzustoßen und zurückzukehren.<br />
Doch auch das genügt noch nicht: Der Geist muß zuvor vom inneren Licht erfüllt und überformt<br />
werden.<br />
Wer diese Durch<strong>licht</strong>ung, Überformung und Verwandlung erreimt hat und ein in völliger Hingabe<br />
an Gott ganz in seinen innersten Grund entsunkener Mensch geworden ist, dem mag es wohl<br />
gelingen, daß ihm in diesem Leben ein Blick der höchsten Überformung durch das ungeschaffene<br />
Licht Gottes zuteil wird, in dem er Gott erkennt: "Herr, in Deinem Lichte sehe im das Licht."<br />
Und wenn er oft in seinen Seelengrund einkehrt und darin heimisch wird, würde ihm mancher Blick<br />
in den Gottesgrund zuteil, in dem ihm von Mal zu Mal deutlicher offenbar wird, was Gott ist.<br />
Mit diesem innersten Grund waren große Meister wie Proclus und Plato wohl vertraut, während<br />
viele Christen weder sich selbst noch das erkennen, was in ihnen ist: weder den Seelengrund noch<br />
den Gottesgrund, weil sie statt nach innen nach außen gerichtet sind und sich mit den äußeren<br />
Wahrheiten der Religion begnügen, die sie hindern, über ihre Ichheit hinauszugelangen und den<br />
Weg nach innen zu gehen.<br />
Damit wir fähig und bereitet werden für das Erfüllt- und Überformtwerden durch das innere Licht,<br />
müssen wir unsere ganze Liebeskraft statt nach außen nach innen lenken und in ihr entflammen, um<br />
eine würdige Stätte für den Aufgang des göttlichen Lichts zu werden. Wir müssen denken, begehren<br />
und sprechen wie Augustinus:<br />
"Herr, Du gebietest mir, daß im Dich liebe: gib mir, was Du mir gebietest! Du gebietest mir, Dich<br />
zu lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit allen Kräften und von ganzem Gemüte: gib<br />
mir, Herr, daß ich Dich vor allem und über alles liebe!"<br />
Wer das mit allen Fasern seines Wesens begehrt und sich mit aller Kraft seiner Seele nach innen<br />
wendet, in dem wächst die Hitze seiner Liebe, bis ihre Glut ihm Mark und Bein verzehrt und das