Johannes Tauler - DAS REICH GOTTES IN UNS - geistiges licht
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Zwar hilft er uns auch, wenn wir dessen in unserem Nach-Außen-Gewendetsein nicht bewußt sind;<br />
aber wenn wir in uns selbst einkehren, werden wir dessen recht gewahr, wie stark er uns zu sich<br />
zieht, wie weise er uns leitet und wie auch das Geringste von ihm so geordnet und gelenkt wird, daß<br />
es unserem Besten dient.<br />
Wir handeln recht, wenn wir uns wie eine Stadt fühlen, die vom Feinde belagert wird, und an allen<br />
Toren und auf allen Mauern Wache halten, wo der Feind angreifen und eindringen könnte, wo<br />
unsere Natur am schwächsten ist, um jedem Einbruch zuvorzukommen.<br />
Nun versetzt uns der Feind, die Welt, gern in Angst und Sorgen, erinnert uns an unsere Schwäche<br />
und Ohnmacht und möchte uns einreden: "Warum willst Du in Sorgen leben und in Furcht vor dem,<br />
was der nächste Tag wohl bringen mag? Öffne uns Deine Tore, lebe in Freude und Freiheit wir wir<br />
hier draußen und genieße Dein Leben, solange Du kannst!"<br />
Solchen Lockungen gegenüber gilt es uns vorzusehen, solange es Tag ist, daß uns nicht die<br />
Finsternis der Weltzugewandtheit ergreife und übermanne und der Feind in unser Inneres einbricht<br />
und dann keine Umkehr und Rettung mehr möglich ist. Es gilt, uns zu besinnen, uns mit unserer<br />
Liebe und unserem Vertrauen nach innen zu wenden, alles Sorgen und uns selbst zu lassen und Gott<br />
anheimzugeben, damit er für uns sorge. Gerade wenn wir angesichts der Lockungen und Drohungen<br />
der Welt in Zweifel und Verzweiflung geraten und meinen, es sei alles verloren, sollen wir uns<br />
gänzlich nach innen wenden und alle Sorgen völlig Gott an heimgeben.<br />
Wenn man bei aufkommendem Sturm auf einem Schiff ist und die Gefahr des Strandens an<br />
unwegsamer Küste wächst, gilt es, den Anker auszuwerfen, bis er im Grund einen Halt findet. Dann<br />
hat man Sicherheit. Genauso sollen wir, wenn die Wogen der Sorgen uns bestürmen, Krankheiten<br />
und seelische Nöte uns bedrängen und uns zu vernichten drohen, alles Äußere lassen und den Anker<br />
des Vertrauens in den Grund unserer Seele senken und in Gott Halt suchen. Dann sind wir in<br />
Sicherheit.<br />
An dieses vertrauende überlassen unserer Sorgen an Gott sollen wir uns gewöhnen wie an andere<br />
Tugenden, und uns zugleich im rechten Handeln üben. Denn unrecht denken und leben und<br />
zugleich auf Gott vertrauen, das wäre eine Sünde wider den Geist. Nein, unser Vertrauen soll, in<br />
Erkenntnis der Nichtheit unseres Ich, in völliger Liebe ganz in das Bewußtsein der Gegenwart<br />
Gottes eingesenkt sein, in williger Abkehr von allem Außen. Denn aus solcher Abkehr kommt die<br />
rechte Einkehr in Gott und damit das Geborgensein in Gott. Und warum nicht uns vertrauensvoll<br />
dem überlassen und hingeben, der uns das Leben gab und uns so unermeßlich viel Gutes zufügte?<br />
Lassen wir darum die Dinge, die Sorgen und uns selbst – und geben wir sie und uns Gott hin. Dann<br />
haben wir den Anker unseres Lebensschiffleins in den göttlichen Grund gesenkt und sind jenseits<br />
aller Sorgen in Sicherheit.<br />
Aber viele gehen diesen Weg nicht zu Ende, weil ihr Trachten und Wirken noch überwiegend nach<br />
außen gerichtet ist. Und wenn sie von innen berührt und von Gott gerufen werden, gehen sie auf<br />
und davon an einen anderen Ort oder in ein anderes Land. So fliehen sie vor sich selbst und vor<br />
Gott, fangen immer wieder etwas anderes an, kommen zu nichts und laufen am Ende in ihr<br />
Verderben. Heute wollen sie dies, morgen das; heute laufen sie diesem, morgen jenem Lehrer nach,<br />
übermorgen möchten sie in ein Kloster gehen oder in die Einsamkeit – aber immer blicken sie dabei<br />
nach außen statt nach innen – und kommen darum nicht zum Frieden und zu Gott. Denn Gott, der<br />
Friede und die Sicherheit sind innen.<br />
Hingegen handelt der weise, der, wenn er ein neues Werk beginnen oder sein Leben ändern will,<br />
sich damit völlig in Gott einsenkt und im Stillesein nach innen darauf achtet, was Gott von ihm will,<br />
um dem in williger Hingabe, Liebe und Gelassenheit zu folgen.<br />
Alsdann wird Gott große Dinge in ihm wirken und ihn aus aller Ungewißheit und Sorge<br />
herausführen. Denn er hat nun aufgehört, Christum in sich immer aufs neue zu kreuzigen, und er<br />
wird in ihm auferstehen und zum Einssein mit dem Vater finden.