Johannes Tauler - DAS REICH GOTTES IN UNS - geistiges licht
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DIE SIEBEN GABEN DES GEISTES<br />
"Und sie wurden voll des Heiligen Geistes und fingen an zu predigen mit anderen Zungen, je<br />
nachdem der Geist ihnen gab zu sprechen." Apg. 2; 4<br />
Die Pfingstgeschichte spricht davon, daß die Jünger vom Heiligen Geist erfüllt wurden und zu<br />
jedem von Gott sprachen. Der göttliche Geist kam in die Jünger und in alle, die dafür empfänglich<br />
waren, und überflutete sie inwendig, wie wenn bei einem aufgestauten Fluß die hindernden Dämme<br />
entfernt werden, so daß er nun in einer gewaltigen Woge rauschend daherkommt, alles überflutet<br />
und ertränkt und alle Täler und Grunde erfüllt.<br />
So tat es der Heilige Geist den Jüngern und denen, die für ihn aufgeschlossen und empfänglich<br />
waren. Und gleichermaßen tut er es heute und jederzeit ohne Unterlaß: er überströmt und füllt alle<br />
Täler und Tiefen, jedes Herz, jeden Seelengrund, in dem er eine Stätte findet, mit seinem Reichtum<br />
an göttlichen Gaben.<br />
Was können wir nun tun, daß wir den Geist Gottes empfangen?<br />
Das Höchste und Wesentlichste muß er selbst in uns wirken. Er muß den Seelengrund selbst für sich<br />
bereiten und muß sich selbst empfangen im Menschen. Dabei geschieht zweierlei:<br />
Das erste ist, daß er uns leer macht; das zweite, daß er die Leere füllt, so weit sie reicht.<br />
Dieses Leersein ist die erste und wichtigste Voraussetzung und Bereitung für den Einstrom des<br />
Geistes Gottes. Denn soweit der Mensch seinen Wesensgrund von allem anderen geleert hat, soweit<br />
ist er für den Geist Gottes empfänglich.<br />
Wenn man ein Faß füllen will, muß zuerst hinaus, was darin ist. Soll Wein hinein, muß das Wasser<br />
hinaus. Gleichermaßen muß alles, was an uns und in uns ,Mensch' ist, hinaus, damit Gott in uns<br />
werden kann.<br />
So muß sich der Mensch leer machen, alles lassen und auch das Lassen selbst lassen, indem er in<br />
sein lauteres Nichts entsinkt. In dem solchermaßen Bereiteten wirkt der Geist Gottes sogleich sein<br />
Werk: er erfüllt den für ihn Empfänglichen.<br />
Je mehr Du Deiner Ichheit samt Eigenliebe und Eigenwillen ledig und leer bist, desto<br />
vollkommener kann der Geist Gottes Dich erfüllen. Das heißt: wenn das Reich Gottes offen vor Dir<br />
liegt, sollst Du nicht hineingehen wollen, sondern erst prüfen, ob Gott es so will.<br />
Auch wenn ein Mensch sich ungeschickt und unbereitet findet wegen der Schwere und Trägheit der<br />
Natur, nicht zum inneren Frieden gelangt und nicht weiß, wie er dazu kommen soll, soll er sich leer<br />
machen von aller Ichheit und allem Haften, sich Gott lassen und ihn wirken lassen, mag es sein, was<br />
es will.<br />
Aber eben dieses Lassen vollbringen nur wenige, weil das Haften an äußeren Dingen und Kreaturen<br />
groß ist und weil Gewohnheit und Selbstzufriedenheit den Menschen mehr auf das Tun achten<br />
lassen als auf das Nicht-Tun, das Lassen und Wirkenlassen des Geistes in einem ist.<br />
Erst wenn dieses Abgeschiedensein von allem Äußeren und das völlige Lassen erreicht ist, wirkt der<br />
Geist Gottes große Dinge in dem völlig sich entsunkenen Menschen, auch wenn dieser nichts davon<br />
weiß: gerade so, wie die Seele im Leibe wirkt, ohne daß der Leib etwas davon empfindet oder weiß,<br />
so wirkt der Heilige Geist im Seelengrund des Menschen ohne sein Wissen.<br />
Will der Mensch dessen bewußt werden, muß es mit allen Kräften des inneren Menschen<br />
geschehen, die ihn an den Seelengrund binden, in dem der Geist seine Wohnung und Wirkstätte hat.<br />
Denn wenn der äußere Mensch dessen gewahr wird, besteht die Gefahr, daß er diese Gabe sich<br />
selbst zuschreibt und daß er sie dadurch verdirbt. Auch wenn das aus Freude an diesen Gaben<br />
geschieht, geht der, der meint, sie seien sein Werk, ihrer verlustig.