Johannes Tauler - DAS REICH GOTTES IN UNS - geistiges licht
Johannes Tauler - DAS REICH GOTTES IN UNS - geistiges licht
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Wenn dann der Geist Gottes findet, daß der Mensch das Seine tut, kommt er mit seinem Licht,<br />
überstrahlt das natürliche Licht der Urteilskraft, läßt die übernatürlichen Tugenden wie Glaube,<br />
Liebe und Gewißheit erstehen und leitet den Menschen in dieser Abgeschiedenheit in die Einheit<br />
mit Gott.<br />
Doch beachte man wohl, daß auch in den Menschen, der nur Gott im Sinn hat, zuweilen das bange<br />
Gefühl kommt, nicht in allem Gott im Sinn gehabt zu haben, und Trauer um das Fernsein Gottes.<br />
Woher nun dieses Gefühl auch immer kommen mag, von innen oder von außen her, in jedem Falle<br />
soll man ihm mit Sanftmut und Lassen begegnen.<br />
Manche versuchen hier, es mit Gewalt zu überwinden. Sie rennen hier hin und dorthin, suchen bei<br />
Gottesfreunden und Weisen Trost und Belehrung, stürzen sich in geistige Übungen – und werden<br />
dadurch nur noch verwirrter.<br />
Wenn Dunkelheit in einem ersteht, soll man es halten wie bei einem Unwetter: man geht unter ein<br />
Dach und wartet gelassen, bis das Gewitter vergeht. So soll der Mensch, wenn Anfechtung, Zweifel<br />
und Bangigkeit ihn überfällt, sich nach innen wenden, sich lassen, sich dem Frieden Gottes<br />
überlassen und in Gelassenheit auf Gott warten.<br />
Wenn er so in Sanftmut unter dem Dach Gottes steht, ist das besser als alle Bemühungen des Ich,<br />
von sich aus die Not zu brechen, auch wenn man meint, damit Gott näher zu kommen. Denn mit all<br />
diesem Tun hat der Mensch sich selbst im Sinn und seinen Eigenwillen.<br />
Darum die Forderung, weise zu sein, die Jesus durch das Gleichnis ergänzt: "Seid weise wie die<br />
Schlangen."<br />
Wenn die Schlange merkt, daß ihr Äußeres zu altern und einzuschrumpfen beginnt, sucht sie eine<br />
Stelle, wo zwei Steine nahe beieinander liegen, und zieht sich zwischen diesen ganz eng hindurch,<br />
so daß die alte Haut abgeht und darunter die neue Haut zum Vorschein kommt.<br />
Genau so soll der Mensch es machen mit der ,alten Haut', d. h. mit allem, was er von Natur hat, wie<br />
groß oder gut es auch sei, also mit dem äußeren Menschen, damit der neue, der innere Mensch ganz<br />
zum Vorschein komme. Und er soll sich ständig daraufhin prüfen, ob etwas an ihm und in ihm am<br />
Veralten und darum abzustreifen sei, und sich immer wieder auf sein wahres Selbst besinnen und<br />
zurückziehen.<br />
Bei alledem soll er sich bewußt bleiben, daß alles, was Gott ihm jeweils in der Zeitlichkeit zufügt<br />
oder an Schickungen zuläßt, sei es Glück oder Unglück, Lust oder Leid, ihm zum<br />
Vollkommenerwerden dient. Denn was auch immer über ihn kommt, ist von Gott so vorgesehen und<br />
vorher in ihm gewesen, so daß es in dieser Weise geschehen muß.<br />
Wer dessen bewußt ist, der erregt sich nicht über die Dinge und Umstände, sondern bleibt allezeit<br />
im Frieden. Diesen Frieden in allen Dingen und Lagen lernt und gewinnt man allein in wahrer<br />
Abgeschiedenheit und Innigkeit. Wer ihn haben will, muß sich nach innen wenden; denn dort allein<br />
wird er gefunden und gefestigt. Und je mehr der Friede zunimmt, desto vollkommener wird der<br />
Geist Gottes gegeben und desto reicher empfangen.<br />
Das sei durch ein anderes Gleichnis verdeut<strong>licht</strong>: Wie der Landmann im März, wenn er sieht, daß<br />
die Tage zunehmen und die Sonne an Kraft gewinnt, seine Bäume behaut und beschneidet, das<br />
Erdreich umgräbt und das Unkraut ausjätet, so sollen wir uns selbst umgraben, die Ackerscholle<br />
unserer Gedanken und Werke umkehren, daß wir den Grund prüfen, und wir sollen unsere Bäume<br />
beschneiden, d. h. unsere äußeren Sinne und niederen Strebungen und Kräfte, und alles Unkraut<br />
gründlich ausjäten.<br />
Vor allem gilt es die sieben Hauptfehler gründlich auszujäten: Hoffart innen und außen, Geiz und<br />
Zorn, Haß, Neid und Unkeuschheit, Leibes- und Sinnenlust in aller Weise, in unserer Natur wie in<br />
unserem Geiste, daß sich da kein Mangel und keine Trägheit verberge, vielmehr alles, was nicht auf<br />
Gott zielt, ausgemerzt werde.