Johannes Tauler - DAS REICH GOTTES IN UNS - geistiges licht
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sondern die des inneren; denn diese zu beugen reicht tiefer als alle äußere Hinwendung zu Gott:<br />
damit gibt sich der innere Mensch mit allen seinen Kräften und Gaben in die Hand und den Willen<br />
Gottes im Bewußtsein der Nichtheit des Ich. Mit dieser seiner Nichtheit, seinem Nicht-Ich, gibt er<br />
sich Gott völlig hin – durch Gelassensein, Nicht-Tun und Nicht-Anmaßung. Diese drei sind eins,<br />
nämlich wahre Hingabe, und gelten dem dreifachen Wesen des Menschen:<br />
Den äußeren Menschen gilt es, soweit man es vermag, mit Gelassenheit zu bezwingen und ihn<br />
einwärts zu ziehen in den inneren Menschen, so daß der äußere nach den Weisungen des inneren<br />
wirke und nicht nach den Wünschen und Begierden des Ich.<br />
Wenn dann der innere Mensch in rechter freier Gelassenheit und Nicht-Anmaßung steht, halte er<br />
sich in seinem lauteren Nicht-Ich, über sich im Nicht-Tun, indem er sich Gott läßt und Gott wirken<br />
läßt.<br />
Dann erhebt sich der innerste Mensch, der Geist, Christus, das göttliche Selbst im Seelengrund, und<br />
kann sich in seinen Ursprung zurückwenden, in seine Ungeschaffenheit im Gottesgrund, wo er ewig<br />
gewesen ist: da steht er bildlos und formlos in seiner Ungewordenheit, und da erfüllt ihn Gott mit<br />
der Kraft und dem Reichtum seiner Herrlichkeit.<br />
So groß ist die göttliche Fülle, daß von diesem Reichtum der innere Mensch ganz erfüllt,<br />
durch<strong>licht</strong>et und durchkraftet wird und selbst der äußere Mensch noch daran teilhat.<br />
"Auf daß Christus in euch wohne": Während der äußere Mensch sagt: "Ich glaube an Gott, den<br />
allmächtigen Vater", und ihn außer sich wähnt, weiß der innere Mensch um die lebendige<br />
Gegenwart Gottes in ihm. Er weiß Christum in sich als den verborgenen innersten Menschen, als<br />
das göttliche Licht, das um so heller leuchtet, je mehr es den inneren Menschen zu seiner Aufnahme<br />
bereit und sich zugekehrt findet.<br />
Alsdann strömt die Kraft Christi in ihn, Christus nimmt Wohnung in seinem Seelengrund, so daß<br />
der Mensch bis in den Grund vom Geist der Liebe erfüllt und durchdrungen und mit seinem ganzen<br />
Wesen darin eingesenkt ist.<br />
Wo diese drei Tugenden – Gelassenheit, Nicht-Tun und Nicht-Anmaßung – walten und dies wirken,<br />
da wird die Liebe so weit und allgewaltig, daß sie alle Wesen in sich schließt, allen helfen und alle<br />
selig machen möchte.<br />
Danach gilt es zu trachten: daß wir durch die Liebe eingewurzelt werden in den tiefsten Grund<br />
unseres Wesens und mit ihm eins werden.<br />
Je tiefer ein Baum wurzelt und gründet, desto höher, breiter und länger kann er wachsen.<br />
Gleichermaßen wir: je tiefer wir in den Seelengrund eingesenkt und eingewurzelt sind, desto mehr<br />
werden wir der Breite, Länge, Tiefe und Höhe des Gottgrundes inne:<br />
Die Breite des Gottgrundes besteht darin, daß man sich seiner Gegenwart nirgends entziehen kann.<br />
Wohin wir uns auch wenden, überall berühren wir den Grund.<br />
Die Länge wird offenbar, wenn wir des Jetzt der Ewigkeit bewußt werden, in dem alles Vorher und<br />
Nachher eins und aller Wandel unbewegte Ruhe ist.<br />
Die Tiefe erfahren wir, wenn wir uns in unsere eigene Tiefe wenden und im Entwerden des äußeren<br />
und des inneren Menschen ganz im Seelengrund entsinken. In dieser Entsinkung offenbart sich der<br />
unergründliche Abgrund Gottes, dessen Tiefe kein geschaffenes Wesen und kein Engel auszuloten<br />
vermag.<br />
Ebenso unausmeßbar ist die Höhe Gottes, so daß, wenn auch die Seele in der Hingabe an Gott<br />
gleichsam von Gott zu Gott erhöht wird und sie sich hoch über alle Kreaturen und Engel in die<br />
Höhe der überwesentlichen Gottheit emporschwingt, Gott ihr doch so unbegreiflich hoch bleibt, daß<br />
ihr alles winzig und nichtig wird, das nicht Gott ist. Hier ist sie über sich selbst und alles<br />
hinausgeschritten.