Johannes Tauler - DAS REICH GOTTES IN UNS - geistiges licht
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Dazu bedarf es der Einsicht und Erkenntnis, daß beide Weisen der Liebe in gleicher Ordnung<br />
stehen. Das meint Pauli Wunsch, daß unsere Liebe "mehr und mehr reich werde an Erkenntnis und<br />
Erfahrung"; denn aus der einen Liebe erblüht die andere.<br />
Und wie die äußere Liebe sich darin bewähren soll, daß man die anderen Menschen nicht der Liebe<br />
unwürdig findet, sie ihnen vielmehr uneingeschränkt und ausnahmslos zuteil werden läßt, so soll<br />
die innere Liebe von Grund aus auf Gott gerichtet sein, und der Mensch soll nicht sich selbst zu<br />
solcher Liebe für unwürdig halten, sondern soll samt seinen Mängeln und Schwächen in liebender<br />
Hingabe in Gott entsinken, den eigenen Willen lassend und sich gänzlich Gottes Willen<br />
überlassend.<br />
Die wahre innere Liebe läßt den Menschen in solcher Hingabe sich selber entwerden, daß Gottes<br />
Wille und Gerechtigkeit in ihm und an ihm geschehen kann. "Nicht wie ich will, sondern wie Du<br />
willst!"<br />
Wer so liebt, der wird der Liebe Gottes teilhaftig und gelangt zu solcher Hinwendung und Hingabe,<br />
daß er völlig in Gottes Willen eingeht; und alle Fehler und Schwächen, die ihm anhaften, können<br />
das nicht verhindern. Aber das kann ihm nur Gott geben, und es kann ihm nur dann geschehen,<br />
wenn die Liebe in den Geliebten versinkt.<br />
Wer so liebt, der wird jenem Gottesfreunde gleich, der da bekannte: "Ich kann nicht anders, im muß<br />
meinen Nächsten das Himmelreich noch mehr und noch inniger wünschen als mir selber." So<br />
empfindet der wahrhaft Liebende.<br />
Der innerlich Liebende will nichts für sich. Er will weder reich noch arm sein, sondern läßt sich<br />
selbst und alles, was nicht Gott ist, und läßt Gott machen. Dann kann und wird "der, der das gute<br />
Werk in ihm begonnen hat, es auch vollenden." Die Liebe wächst, bis sie überfließt ob der Seligkeit<br />
der Selbsthingabe.<br />
Alsdann erreicht die innere Liebe ihren höchsten Stand und wird zum Einssein.<br />
Aber zuvor durchschreitet sie das Tal der Finsternis und Erkenntnislosigkeit. Da wird ihr weh und<br />
bang ob des Fernseins von Gott, dem ihre Hingabe galt. In dieser äußersten und höchsten Hingabe<br />
entwird sie allem Haften und Haben und entwird sich selber völlig. Denn hier liebt Gott sich selber<br />
und ist sich selber der Gegenstand seiner Liebe.<br />
Hier wird die Liebe ganz in Gott überführt und überformt. Hier ruht der Geist in Gottes Geist, in der<br />
Stille des göttlichen Wesens. Da strahlt das göttliche Licht in die Finsternis der Entwordenheit, und<br />
ist nichts als Gott in Gott.<br />
Alle Vielheit und Zweiheit ist zu eins geworden: da wird mitten in der Nacht der Seele Christus in<br />
ihr geboren und der ewige Tag bricht an, von dem ein Meister schrieb: "Das Licht Christi leuchtet<br />
in unserem Seelengrund strahlender, als die Sonne am Himmel leuchten kann."<br />
Das ist, was die Gottesfreunde uns lehren wollen und worum Paulus bittet: daß unsere Liebe immer<br />
reicher werde an Erkenntnis und Erfahrung und zu wahrer Gottesliebe werde. Aber so viele reden<br />
von ihrer Liebe zu Gott und meinen im Grunde ihres Herzens und ihrer Seele sich selbst: ihr kleines<br />
Ich, das auf das Haben, seine Ehre und seinen Vorteil aus ist.<br />
Zu diesen gehören jene Pharisäer, die meinen, sie seien gut daran mit Gott. Denn wenn man ihren<br />
geistigen Übungen, Gebeten und Meditationen auf den Grund geht, so ist das, was sie im Sinn<br />
haben und lieben, nicht Gott, sondern ihr Ich. Und das merken sie nicht. Sie tun viele gute Werke,<br />
knien und beten und bezeichnen sich als Sünder; aber mit alledem gelangen sie nicht zu Gott; denn<br />
ihre Gesinnung und ihre Liebe ist nicht Gott zugekehrt, sondern sich selber und den Kreaturen,<br />
ihrem eigenen Wollen und Haben, ihrer Lust und ihrem Nutzen – innen wie außen.<br />
Sie sind nur mit einem kleinen Teil ihrer Gedanken und ihres Gemüts bei Gott, erfüllen also nicht<br />
das Gebot, ihn von ganzem Herzen, mit allen Kräften und mit dem ganzen Gemüt zu lieben. Und<br />
darum antwortet Gott ihnen nicht.