Johannes Tauler - DAS REICH GOTTES IN UNS - geistiges licht
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Nun ist da eine andere Myrrhe, die weit über die erste geht, nämlich jene, die Gott in Gestalt von<br />
Leiden gibt, äußeren und inneren. Wer diese Myrrhe in Liebe hinnimmt – aus dem Grunde, aus dem<br />
Gott sie gibt –, der wird vom Frieden und der Freude Gottes erfüllt. Denn das kleinste wie das<br />
größte Leiden kommt ebenso aus dem Grunde seiner unaussprechlichen Liebe wie die höchsten und<br />
edelsten Gaben, die er Dir verliehen hat. Wolltest Du das nur erkennen, dann wäre Dir das Leiden<br />
so nützlich wie die größte Gabe.<br />
Was auch immer Dich trifft – sei es Hunger oder Durst, Krankheit oder Betrübnis durch die<br />
Umwelt, durch anderer Worte und Werke –, es ist alles von Gott so geordnet, daß es Dir als<br />
Weisung und Leitung zum Licht dient.<br />
Daß Deine Augen sehen, Deine Ohren hören, ist von Gott so gefügt; und wenn Du blind oder taub<br />
wirst, so ist auch das im ewigen Plane Gottes so vorgesehen, damit Du Deine inneren Augen und<br />
Ohren auftust und dankbar Gottes Weisheit erkennst. Wie kann Dir der Verlust des Geringeren noch<br />
leid tun, wenn Dir das Größere bewußt wird!<br />
Ebenso ist es mit dem Verlust an Freuden oder Gütern, an Ehren oder Trost, oder was Gott Dir sonst<br />
schickt: es dient Dir zur Weisung nach innen, zum wahren Frieden, wenn Du es nur erkennen<br />
wolltest!<br />
Ob es Dir verdient scheint oder unverdient – nimm es dankbar als von Gott zu Deinem Besten<br />
gewollt, leide Dich und laß Dich, laß los und laß Gott machen!<br />
Alle Myrrhen, die Gott gibt, wollen Dich zu Höherem leiten. Darum hat er die Dinge in Gegensatz<br />
zum Menschen gesetzt, damit der Mensch geübt werde und zur Vollkommenheit gelange.<br />
Kein Maler kann sich so sorgsam überlegen, wie er jegliche Farben, die dunklen wie die hellen, so<br />
wähle und jeden Strich so ziehe, kurz, lang oder breit, daß das Bild eine meisterliche Form gewinnt,<br />
wie Gott mit den Farben und Strichen der Freude und des Leides das Menschenbild zu der Form<br />
und Vollendung bringt, daß es seinem Meister gleicht.<br />
Wenn der Mensch nur die Gaben und Myrrhen, die Gott gibt, so sehen wollte! Aber nun gibt es<br />
einige, die sich nicht mit dem begnügen, was Gott ihnen zukommen läßt: sie wollen noch mehr auf<br />
sich laden und machen sich in ihrer kranken Phantasie einen bösen Kopf, wollen selbst das Leid<br />
bestimmen, quälen und kasteien sich, übertreiben selbst Gebet und Meditation und wenden sich mit<br />
alledem gegen Gottes Willen, statt ihn wollen und wirken zu lassen.<br />
Eine besonders bittere Myrrhe ist die innere Finsternis, Drangsal und Not. Wer sich ihnen überläßt,<br />
dem verzehren sie Gemüt und Körper und erfüllen auch sein äußeres Leben mit Finsternis und<br />
Trübsal. Auch hier gilt es sich zu besinnen, wohin Gott wohl damit will, um ihn wirken zu lassen,<br />
statt es selbst besser wissen und machen zu wollen.<br />
Manche meinen hier klug zu handeln, indem sie das Leiden mit Menschenweisheit umgehen. Sie<br />
nennen die äußeren Zufälle Glück oder Unglück und wähnen, wenn sie sich so oder so verhalten,<br />
wäre es besser gegangen und das Leid verhütet. Sie wollen weiser sein als Gott und ihn lehren und<br />
meistern, statt die Dinge von ihm hinzunehmen und sich von ihnen <strong>licht</strong>wärts leiten zu lassen.<br />
Solchen Menschen wird die Myrrhe des Leidens sehr bitter.<br />
Andere suchen die Myrrhe des Leidens innerlich nach ihrem Sinn zu ertasten und ihre Weisung zu<br />
verstehen; sie lösen sich von der Last, indem sie sich von innen her leiten lassen, und kommen so<br />
schneller vorwärts als die Klugen. Würden diese ihrem Beispiel folgen, kämen auch sie sicherer und<br />
beglückter ans Ziel: sie würden die verborgene Weisheit in allem erkennen und sich dienen lassen.<br />
Aus solchem rechten Verhalten wächst ein edles Kräutlein: ein Zweig des Weihrauchbaumes,<br />
dessen balsamische Körnchen die zweite Gabe waren, mit der die Weisen das Kind beschenkten.<br />
Weihrauch hat einen guten Duft. Wenn das Feuer das Körnlein ergreift, löst es den darin gefangenen<br />
Duft, daß er aufgehe, und es entsteht ein guter Rauch daraus. Das Feuer ist nichts anderes als die<br />
willige Hinwendung und flammende Liebe zu Gott, die im Gebet liegt. Das ist der Weihrauch, der