Johannes Tauler - DAS REICH GOTTES IN UNS - geistiges licht
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VOM GÖTTLICHEN REIFEN<br />
"Das Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu dingen in<br />
seinen Weinberg." Matth. 20; 1 f.<br />
Das Evangelium vergleicht das Reich Gottes einem Weinberg und Christus einem Hausvater, der<br />
ausgeht, Arbeiter für den Weinberg zu gewinnen. Es heißt mit Recht, daß er ,am Morgen', also<br />
früh ,ausging', da er in der ewigen Geburt vom väterlichen Herzen ,ausgegangen' und doch allezeit<br />
darin geblieben ist.<br />
In einem anderen Sinne ist er früh in die menschliche Natur ausgegangen, damit er uns für das<br />
Reich Gottes wiedergewinne.<br />
Es heißt in dem Gleichnis, daß er Werkleute um die dritte, die sechste und die neunte Stunde dang<br />
und abermals um die elfte Stunde: da sah er Leute müßig stehen, die ihm auf seine Frage, warum sie<br />
müßig stünden, antworteten: "Es hat uns niemand gedungen." Auch diese Letzteren, die noch nicht<br />
der Welt verhaftet, noch innerlich frei und ledig waren, aber auch noch nicht die Lockungen und<br />
Versuchungen der Welt kannten, sandte er zum rechten Wirken in den Weinberg.<br />
Alle aber, die er aufrief, gingen in ungleicher Weise zum Wirken in den Weinberg:<br />
Die einen waren Anfänger, die sich dem äußerlichen Werk in sinnlicher Weise nach ihrem eigenen<br />
Gutdünken widmeten und im Äußerlichen stecken blieben. Dabei wähnten sie, durch bitteres<br />
Mühen, Fasten, Kasteien und Beten besonders Hohes zu vollbringen. Statt auf ihren Seelengrund<br />
blicken sie nach außen, auf die Gunst oder Ungunst der Welt, und daraus entstehen Einbildung und<br />
Eigenwille, Neid und Bitterkeit, Jähzorn und andere Untugenden.<br />
Andere arbeiteten mehr an sich selber, verschmähten die Laster und überwanden manche Fehler,<br />
erreichten durch Selbstbesinnung und weises Wirken höhere Grade – und fanden darin solche<br />
Wonne und Befriedigung, daß sie darüber das Höchste versäumten.<br />
Die dritten aber, die dem Hausvater die liebsten waren, erhoben sich über die Dinge, gaben ihr<br />
Bestes und richteten dabei ihr ganzes Sinnen und Trachten allein auf den Gott in ihnen. Sie sahen<br />
weder auf Lust noch auf Nutzen bei dem, was sie taten, auch nicht auf die göttlichen Gaben und<br />
Kräfte, die in ihnen wach wurden, sondern wandten sich innerlich ganz Gott zu und hatten einzig<br />
ihn im Sinn, daß sein Wille in ihnen und in allen Wesen geschehe.<br />
Dadurch leiden und lassen sie alle Dinge, nehmen alles als Willen und Gabe Gottes, geben ihm<br />
alles, was sie empfangen, lauter und ungeschmälert zurück und maßen sich nichts als ihr Eigentum<br />
an.<br />
Sie folgen darin dem Beispiel des Wassers, das willig als Regen zur Erde fällt, in Rinnsalen und<br />
Bächen zu Flüssen und aus diesen zu Strömen zusammenfließt und wieder in seinen Ursprung, das<br />
Meer, zurückkehrt: so tragen sie alle ihre Gaben und Kräfte wieder in den Gottesgrund zurückt, aus<br />
dem sie ausgingen, fließen damit selbst wieder in ihn zurück und machen Gott zu ihrem einzigen<br />
Halt und Hort.<br />
Obwohl aber diese Gesinnung den Menschen aus sich heraus und in Gott hineinführt, bedeutet das<br />
doch nicht, daß der Mensch sich damit gänzlich der Natur entzieht. Solange er auf Erden verkörpert<br />
ist, ist er ihren Gesetzmäßigkeiten unterworfen. Wenn der Arbeiter im Weingarten auch des Werkes<br />
wegen da ist, braucht er doch zu Zeiten einen Imbiß. Die Arbeit dauert den ganzen Tag, die Labung<br />
nur eine Stunde, und sie ist notwendig, damit der Mensch arbeiten kann. Denn was er ißt, geht ihm<br />
in Fleisch und Blut, Mark und Gebein über und wird verzehrt in der Arbeit. Und wenn alles<br />
Genossene durch die Arbeit aufgezehrt ist, ißt er abermals ein weniges zu dem gleichen Zweck.<br />
Genau so handelt der edle Mensch auch mit der geistigen Nahrung: Wenn er eine Neigung in sich<br />
spürt, in der selbstbesinnenden Meditation der Gegenwart Gottes, des inneren Lichts bewußt zu