Johannes Tauler - DAS REICH GOTTES IN UNS - geistiges licht
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Wenn Gott dann unser brennendes Verlangen sieht, kommt er mit dem überfließenden Maß und<br />
ergießt sich selbst in das Maß, daß es vom überwesentlichen Guten, das er selbst ist, überströmt,<br />
unser Gemüt und Wesen gänzlich erfüllt und es ebenfalls zum überfließen bringt, so daß der Geist<br />
über sich selbst hinaus in den göttlichen Abgrund fließt. Er gießt sich gänzlich aus, gibt sich völlig<br />
hin – und bleibt doch voll – wie man einen Krug ins Meer hinabläßt: er wird voll und fließt über<br />
und bleibt doch voll.<br />
Das meint das Wort: "Ein volles, gerüttelt und überfließend Maß wird euch gegeben", und das<br />
andere: "Mit welchem Maß ihr messet, wird man euch wieder messen."<br />
Das Maß, mit dem wir gemessen werden, ist das Maß der Liebe.<br />
Das volle Maß besteht darin, daß wir unsere Liebe ganz Gott zuwenden und den Willen haben, alles<br />
zu lassen, was nicht zu Gott führt, und alles zu tun, was uns Gott näher bringt, also Gott über alles<br />
zu lieben und unseren Nächsten wie uns selbst. Das ist ein rechtes Leben im Geiste Christi und ein<br />
gutes Maß, das uns zum ewigen Leben leitet. Zu diesem Maß hat Gott uns alle gerufen.<br />
Das gerüttelt Maß besteht darin, daß wir von den äußeren Übungen weg zu den inneren kommen<br />
und gleichermaßen vom äußeren Menschen zum inneren, daß wir alles Äußere lassen, das uns am<br />
inneren Leben als dem wesentlichen Leben hindert. Es gilt, unser ganzes Sinnen und Trachten auf<br />
Gott zu richten, uns voll Dankbarkeit in den Seelen grund einzusenken und Gottes zu harren.<br />
Diese Einwärtswendung und innere Übung erhöht unsere Empfänglichkeit für Gott mehr als alle<br />
äußeren Übungen. Aber sie muß mit einer Liebe geschehen, die uns so stark durchglutet und so<br />
gänzlich erfüllt, daß sie überfließt und alles in sich aufnimmt und verwandelt.<br />
Denn, wie Augustinus sagt, "es kommt nicht auf die Länge der Zeit oder die Zahl der guten Werke<br />
an, sondern allein auf die Größe der Liebe", und Paulus: " Wenn ich alle meine Habe den Armen<br />
gäbe und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts." Alles muß vom Geist der Liebe erfüllt und<br />
durchglutet sein.<br />
Wer mit dem Maß der Liebe alles Gute in sich faßt und es willig weitergibt, dem wird ein gerüttelt<br />
Maß zugemessen. Wie Paulus sagt: "Die Liebe ist nimmer müßig, sie wirkt und leidet alle Dinge"<br />
und will immerfort geben und sich verschenken.<br />
Alsdann kommt das überfließend Maß, das so voll und so reich ist, daß es an allen Enden immerfort<br />
überströmt. Es gibt alles, was es in sich trägt, und sich selbst mit; es schüttet sich mit einem Male<br />
wieder in den Ursprung, dem es entfloß, verliert sich völlig darin und ist gänzlich eins mit Gott.<br />
Solche Menschen mißt Gott mit seinem Maß und wirkt all ihr Wirken in ihnen.<br />
Hierbei gibt Gott sich selbst dem Geiste in einer überströmenden Weise, die alles übersteigt, was die<br />
Seele je begehrte. Er gibt der Seele seinen eingeborenen Sohn und erfüllt sie mit der Seligkeit des<br />
Heiligen Geistes. Er teilt mit ihr sein Reich, das heißt: er gibt ihr volle Gewalt über das Reich<br />
Gottes, damit sie alles dessen Herr sei, dessen er Herr ist.<br />
So wird das Maß überfließend, mit dem uns gemessen wird. Das ist der Friede Gottes, von dem<br />
Paulus sagt, daß er über alle Vernunft ist: der Friede des Einsseins.<br />
Daß uns allen das volle überfließende Maß zuteil werde, dazu helfe uns Gott!