Johannes Tauler - DAS REICH GOTTES IN UNS - geistiges licht
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WEISHEIT DER ABGESCHIEDENHEIT<br />
"So seid nun weise und wachsam im Gebete." 1. Petr. 4;8<br />
Wir feiern mit dem Pfingstfest die Sendung des Heiligen Geistes, der von den Jüngern in einer<br />
besonderen Weise empfangen wurde. Das war nötig, da sie im Anfang standen und da ein neues<br />
Leben in ihnen begann, aber auch um derer willen, die noch dazu gelangen sollten.<br />
Solange sie in der Zeit lebten, nahmen sie im Empfangen des Heiligen Geistes ständig zu. Gleich<br />
ihnen soll jeder Gottesfreund das Fest des Heiligen Geistes alle Tage und Stunden begehen, damit er<br />
ihn jederzeit empfange. Je größer seine Bereitschaft und Empfänglichkeit und je tiefer er sich<br />
einwärts wendet, desto vollkommener wird er den Heiligen Geist empfangen.<br />
Was den Jüngern am Pfingsttage zuteil wurde, das findet alle Tage geistig bei denen statt, die sich<br />
gründlich dazu bereiten: zu ihnen kommt der Geist Gottes mit immer neuen und besonderen Gaben,<br />
solange sie leben, nach innen gewendet und bereit sind, ihn zu empfangen.<br />
Und worin besteht nach Petrus die rechte Bereitung? "Seid weise und wachsam im Gebet."<br />
Weisheit meint Wohlvertrautheit und Wohlbewandertsein und bedeutet, daß wir bei all unserem Tun<br />
und Lassen jedes Ding mit dem Licht unserer Urteilskraft durchschauen, so daß uns wohl vertraut<br />
ist, womit wir umgehen, und wir bereit sind, das Beste aus ihm zu gewinnen.<br />
Die höchste Bereitschaft nun, den Geist Gottes zu empfangen und ihn unmittelbar in sich<br />
aufzunehmen, besteht im Abgeschiedensein und Lassen, in Innigkeit und Einigkeit. Wer diese vier<br />
hat und darin zunimmt, der ist am besten bereitet für den Empfang des Geistes Gottes.<br />
Worin besteht nun das erste von diesen vieren: wahre Abgeschiedenheit?<br />
Sie besteht darin, daß der Mensch sich von allem abwendet und abzieht, das nicht Gott ist, und mit<br />
dem Lichte seiner Urteilskraft alle seine Gedanken, Worte und Werke verständnisvoll daraufhin<br />
durchschaut, ob da im Grunde etwas ist, das nicht Gott ist, nicht Gott im Tun wie im Lassen im<br />
Sinne hat, damit er das, was auf anderes als Gott abzielt, ausschließe und von sich abscheide.<br />
Das ist nicht nur die Aufgabe der dem inneren Leben zugewandten Gottesfreunde, sondern die jedes<br />
Menschen. Denn man findet viele gute Menschen, die sich im rechten Denken und Handeln üben<br />
und doch von wahrer Innerlichkeit nichts wissen. Auch sie sollen sich gewöhnen, darauf zu achten,<br />
ob das, was sie denken und tun, sie etwa von Gott wegführt, damit sie das lassen. Auch sie bedürfen<br />
der Einwärtswendung und der Abgeschiedenheit, wenn sie den Geist und die Gaben Gottes<br />
empfangen wollen.<br />
Nun ist die Abgeschiedenheit und die Empfangsbereitschaft bei den Menschen sehr verschieden:<br />
Die einen empfangen den Geist in bildlicher Weise mit den Sinnen, andere nehmen ihn in die Kräfte<br />
der Vernunft auf, und wieder andere nehmen ihn darüber hinaus in den Grund der Seele auf, in das<br />
heimliche Reich, in dem das Bild und das Licht Gottes verborgen schlummert. Hier findet der Geist<br />
seine wahre Stätte, und da allein werden seine Gaben in göttlicher Weise empfangen.<br />
So oft der Mensch in diesen Grund hineinschaut mit dem Licht der Unterscheidungskraft und sich<br />
hier ganz Gott zuwendet, gelangt er zur Durchgeistung und empfängt vom Geiste Gottes neue<br />
Gnaden und Gaben, wenn er in Weisheit und Abgeschiedenheit ganz nach innen gewendet ist und<br />
mit wahrem Ernst bei seinen Worten und Weisen, Werken und Wegen darauf achtet, daß da nichts<br />
sei, das nicht von Gott ist oder auf Gott hinzielt.<br />
Mit dem Licht der Unterscheidungskraft soll er seine Tugenden prüfen, ob sie aus Gott geboren<br />
sind, und soll dahin wirken, daß alle Kräfte, Strebungen und Tugenden der göttlichen Ordnung<br />
entsprechen und alles zu Gott hin, mit Gott und durch Gott getan werde.