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Johannes Tauler - DAS REICH GOTTES IN UNS - geistiges licht

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das göttliche Licht nicht wahrnimmt?<br />

Dieser Mangel rührt daher: es ist da eine dicke, undurchsichtige Haut über das innere Auge<br />

gezogen, entstanden durch die Gewohnheit, nur nach außen zu blicken, durch die ständige<br />

Hinneigung zu den Dingen und Kreaturen der Außenwelt, zum Eigensein, Eigentun und Eigentum.<br />

Davon sind die meisten Menschen innerlich blind und taub geworden, mögen sie nun Weltliche<br />

oder Geistliche sein.<br />

Darum gelangt der Mensch so schwer in seinen eigenen Grund, weil er so viele Häute oder Hüllen<br />

über sein Inneres gedeckt hat, daß weder er selbst noch Gott hinein kann: es ist zugewachsen und<br />

völlig verdeckt. Manche haben eine Vielzahl solcher Hüllen über ihr Innerstes gezogen, dick wie<br />

Bärenfelle.<br />

Und welches sind diese Hüllen? Es sind die Hüllen der Ichheit und des Eigenwillens und die des<br />

Haftens an Dingen und Wesen, denen der Mensch sich zuwendet und verbindet in Worten und<br />

Werken, in Liebe oder Haß, Hochmut oder Eigensinn. Diese und andere Dinge bilden<br />

undurchdringliche Hüllen und Hindernisse, die dem Menschen die inneren Augen blenden und<br />

verschließen und ihn von seinem innersten Wesensgrund und damit von Gott fern halten.<br />

Sobald aber der Mensch dies einsieht und den Wunsch und Willen hat, sich zu ändern, sich nach<br />

innen zu wenden und sich, statt den vergänglichen Dingen und Wesen, ganz Gott hinzugeben, kann<br />

noch alles gut werden. Denn es leuchtet ein, daß, wenn schon der Hinblick auf die äußeren Dinge<br />

und Kreaturen und die Hingabe an sie Freude machen, tausendmal größere Seligkeiten den erfüllen,<br />

der sich dem hingibt, der alle diese Dinge und Kreaturen schuf.<br />

Jesus nannte seine Jünger selig, weil sie gelernt hatten, mit den inneren Augen zu sehen. Eigentlich<br />

müßten wir noch seliger sein als die Jünger, vermögen wir doch mehr von Christus wahrzunehmen<br />

als sie. Denn sie sahen den leidenden sterblichen Menschen vor sich, während wir, nach innen<br />

blickend, um den ewigen Christus wissen als den Quellgrund der ewigen Seligkeit unserer Seele.<br />

Was dem Menschen, der zu dieser Erkenntnis gelangen möchte, nottut, ist das Entwerden seiner<br />

Nichtheit mit allem, was er und wer er aus seiner Ichheit ist. Denn nur, wer sein Ich fahren läßt,<br />

gelangt zum Nicht-Ich, zu dem Einen, das nottut, weil es alle Not wendet und endet. Wer dieses<br />

Eine erlangt, der hat alles erlangt – nicht einen Teil, sondern das Ganze.<br />

Das ist keineswegs in dem Sinne gemeint, wie etwelche demütig von ihrer Nichtigkeit sprechen, als<br />

ob sie die Stufe des Ich-Entwordenseins schon erreicht hätten; denn bei diesen ist das Ich in<br />

Wirklichkeit so aufgebläht und so groß wie ein Palast. Sie wollen in Wahrheit groß scheinen und<br />

täuschen damit die Menschen, am meisten aber sich selbst; denn ihr Selbst ist es, das dabei<br />

zurückbleibt.<br />

Wenige nur wissen von diesem tiefsten Grund jenseits des Ich. Denn er ist weder mit dem Verstand<br />

noch mit der Vernunft auszuloten. Jedoch kann stete Nach-Innen-Wendung und Versenkung dorthin<br />

führen; ständige Übung kann den Menschen zuletzt wesentlich und fähig machen, sich vom Ich zu<br />

lösen und in sein Nicht-Ich zu entsinken.<br />

Wer aber solche Übungen und Versenkungen für das Wesentliche hält, als wären sie um ihrer selbst<br />

willen da, der würde besser nichts tun und sich im Nicht-Tun gänzlich in sein innerstes Nichts<br />

lassen, in das Nicht-Ich, das jenseits von allem ist, was er an sich, seinem Ich, an äußeren und<br />

inneren Tugenden und Vermögen wahrnimmt.<br />

Es gilt, dem äußeren Menschen, dem Ich, zu entwerden. Was liegt denn am äußeren Menschen?<br />

Sieh, woher er kommt und wer er ist: eine aus vergänglichen Wesen hervorgegangene, dem Leiden,<br />

Vergehen und Verwesen unterworfene Form. Keine noch so edle Speise kann diese flüchtige Form<br />

haltbarer machen: sie zergeht in ihr und ändert nichts an ihrer Unzulänglichkeit und ihrem<br />

schließlichen Tode.<br />

Und wie das eigene Werden und Vergehen ist auch das der Welt und der Dinge dem äußeren<br />

Menschen leidvoll. Bald hat er Hunger, bald Durst, bald ist ihm zu kalt, bald zu heiß, heute wohl

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