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<strong>Magazin</strong> 04|14<br />
Rechtsanwalt Stephan Mathé (40) ist Fachanwalt<br />
für gewerblichen Rechtsschutz (Urheber-,<br />
Marken- und Wettbewerbsrecht), Lehrbeauftragter<br />
für Medienrecht und Partner der Hamburger<br />
Medien- und Wirtschaftskanzlei „Rode<br />
+ Mathé Rechtsanwälte“. Er vertritt führende<br />
Videospielentwickler und Publisher u.a. in Alterseinstufungs-<br />
und Jugendschutzverfahren.<br />
Vor seiner Tätigkeit als Anwalt war Mathé als<br />
Lokalisierungs- und Produktmanager für den<br />
Publisher Eidos tätig und betreute Spiele wie<br />
F1 World Grand Prix, Commandos und Resident<br />
Evil. Während seiner juristischen Ausbildung<br />
arbeitete er für die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende<br />
Medien (BPjM).<br />
Interview mit Stephan MATHé<br />
<strong>PC</strong> <strong>Games</strong>: Die Verwendung von verfassungsfeindlichen<br />
Symbolen ist in Deutschland<br />
verboten. Eine Ausnahme bietet die sogenannte<br />
Sozialadäquanzklausel in § 86 Abs. 3 des<br />
Strafgesetzbuches. Diese Klausel erlaubt die<br />
Verwendung von verfassungsfeindlichen Symbolen,<br />
wenn es der Förderung von Kunst und<br />
Wissenschaft oder der politischen Aufklärung<br />
im Sinne der Verfassung dient. Warum kann<br />
die Filmindustrie von dieser Klausel seit Jahren<br />
Gebrauch machen und Unterhaltungsfilme<br />
wie Inglourious Basterds in Deutschland mit<br />
Hakenkreuzen herausbringen, während die<br />
Spieleindustrie immer noch bei verfassungsfeindlichen<br />
Symbolen zur Zensurschere greifen<br />
muss?<br />
Mathé: „Da diese Thematik sehr sensibel<br />
ist, möchte ich eingehend eines klarstellen:<br />
Persönlich verabscheue ich rechtsradikales Gedankengut<br />
aufs Tiefste. Wenn es also erwiesen<br />
wäre, dass die Verwendung von Nazi-Symbolen,<br />
insbesondere des Hakenkreuzes, in den<br />
Medien nachweislich dazu beiträgt, dass eine<br />
derartige Gesinnung in irgendeiner Weise gefördert<br />
wird, dann sollten wir alle entschieden<br />
dafür eintreten, dass sämtliche Hakenkreuze<br />
sofort aus allen deutschen Medien verschwinden<br />
– egal ob Kino, TV, Buch oder Videospiel.<br />
Dies scheint aber offensichtlich nicht der Fall<br />
zu sein, da Hakenkreuze nach wie vor in den<br />
Medien zu sehen sind. Die Frage, um die es hier<br />
geht, ist also in der Tat, warum Medien wie TV<br />
und Kino solche Symbole zeigen dürfen, wohingegen<br />
Videospiele dies nicht dürfen. Die Argumentation,<br />
die man in diesem Zusammenhang<br />
immer wieder hört, ist, dass Medien wie TV und<br />
Kino viel tiefgehender und dadurch auch viel<br />
eher in der Lage sind, die NS-Thematik kritisch<br />
zu beleuchten, wohingegen Computer- und<br />
Videospiele eben schlicht Unterhaltungsspiele<br />
seien und man mithin mit einem solch sensiblen<br />
Thema nicht während einer spielerischen<br />
Betätigung vernünftig umgehen könne.<br />
Hinzu kommt, dass man einen Film nur als passiver<br />
Betrachter verfolgt, der entsprechend die<br />
dargebotenen Inhalte kritisch bewerten kann,<br />
während man als Spieler interaktiv beteiligt<br />
ist, was ein Hinterfragen der erlebten Inhalte<br />
erschweren kann. Diese Argumentation mag<br />
auch durchaus zutreffen, wenn man Filme wie<br />
Schindlers Liste vergleicht mit linear aufgebauten<br />
Ego-Shootern. Eine derart klare Grenzziehung<br />
ist heute aber in den meisten Fällen<br />
kaum mehr möglich. So gibt es auf der einen<br />
Seite reine Unterhaltungsfilme wie Indiana<br />
Jones oder eben auch Inglourious Basterds, die<br />
keinerlei kritische oder besonders künstlerische<br />
Behandlung der NS-Thematik aufweisen.<br />
Auf der anderen Seite sind Computer- und<br />
Videospiele heutzutage oftmals schon so künstlerisch<br />
und tiefgehend, dass sie sehr wohl auch<br />
sozialkritische Themen glaubhaft behandeln<br />
können. Aus diesem Grund ist eine pauschale<br />
Ungleichbehandlung dieser Medien schlicht<br />
ungerecht und geht an der heutigen Medienrealität<br />
vorbei.<br />
<strong>PC</strong> <strong>Games</strong>: Ändert die Aufnahme des Spiele-<br />
Entwicklerverbands G.A.M.E. in den Deutschen<br />
Kulturrat irgendetwas an dieser Sachlage? Hat<br />
ein Computerspiel durch die Aufnahme höhere<br />
Chancen, vor Gericht als Kunst angesehen zu<br />
werden?<br />
Mathé: „Ich persönlich habe noch nie viel von<br />
der oftmals von Branchenvertretern geäußerten<br />
Forderung gehalten, Computer- und<br />
Videospiele als „Kulturgut anzuerkennen“.<br />
Kultur ist nichts, was formell von irgendeiner<br />
Instanz angenommen werden muss oder kann.<br />
Kultur entwickelt sich vielmehr eigenständig<br />
Symbole als solches, viel mehr missfällt<br />
den meisten Gamern einfach die<br />
Tatsache, dass ein Titel überhaupt<br />
zensiert wird. Zum anderen wäre es<br />
wohl kaum ein guter Werbeslogan,<br />
wenn ein bunter Aufkleber mit „Jetzt<br />
auch mit Hakenkreuzen!“ eine Spieleverpackung<br />
schmücken würde.<br />
Daher versuchen Publisher lieber, ein<br />
Spiel „komplett uncut“ auf den Markt<br />
zu bringen. Das ist übrigens in ihren<br />
Augen oft bereits dann der Fall, wenn<br />
lediglich die NS-Symbole aus einem<br />
Titel entfernt wurden, während etwa<br />
übermäßig brutale Szenen nicht zensiert<br />
wurden.<br />
Positive Tendenzen<br />
Aus diesen Gründen kam es in den<br />
letzten Jahren zu keiner Gerichtsverhandlung,<br />
die für einen Präzedenzfall<br />
hätte sorgen können. Ob<br />
sich die Lage seit dem letztem verhandelten<br />
Fall aus dem Jahr 1994<br />
verändert hat, bei dem es um einen<br />
Ego-Shooter mit Nazis als<br />
Feinde ging, der beschlagnahmt<br />
wurde, lässt sich schwer sagen.<br />
Es gibt Tendenzen, die dafür<br />
sprechen, dass Computerspiele<br />
heute als Kulturgut gelten und<br />
somit einzelne Titel vor einem Gericht<br />
als Kunst angesehen werden<br />
könnten. Zum Beispiel wurde der<br />
GAME Bundesverband 2008 in den<br />
Deutschen Kulturrat aufgenommen<br />
und die USK hat am 24. Januar<br />
2014 bekanntgegeben, dass sie<br />
ab sofort auch den künstlerischen<br />
Aspekt von Computerspielen bei<br />
der Vergabe der Kennzeichnungen<br />
würdigen werde. Doch weder der<br />
Deutsche Kulturrat noch die USK<br />
sind legislative oder juristische Entscheidungsträger<br />
und somit könnte<br />
eine Änderung der Sachlage in<br />
der Causa Hakenkreuze erst dann<br />
stattfinden, wenn ein Publisher mit<br />
einer entsprechenden Klage vor<br />
Gericht zieht.<br />
Wie erwähnt, kann dieser Weg<br />
für große, internationale Publisher<br />
so gut wie ausgeschlossen werden.<br />
Was die kleineren Hersteller angeht,<br />
gibt es mit Reality Twist tatsächlich<br />
eine Firma in Deutschland,<br />
die unter Umständen für den ersten<br />
Präzedenzfall sorgen könnte. Mehr<br />
hierzu lest ihr im Interview mit Sebastian<br />
Grünwald auf Seite 87.<br />
Aus der Geschichte lernen<br />
Wegen der hohen Kosten und des<br />
möglichen Imageschadens verwundert<br />
es nicht, dass Publisher<br />
wie Ubisoft (South Park: Der Stab<br />
der Wahrheit) oder Bethesda (Wolfenstein:<br />
The New Order) heute<br />
sehr penibel bei der Entfernung<br />
der Hakenkreuze für die deutschen<br />
Versionen vorgehen. Bethesda lässt<br />
zum Beispiel schon von Anfang an<br />
zwei unterschiedliche Versionen<br />
von Wolfenstein: The New Order bei<br />
Machine <strong>Games</strong> entwickeln. Eine<br />
internationale Fassung enthält Hakenkreuze,<br />
während die Version für<br />
Deutschland und Österreich schon<br />
in der Entwicklungsphase gänzlich<br />
ohne verfassungswidrige Symbole<br />
erstellt wird. Dieses Vorgehen ist<br />
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