antriebstechnikk 3/2016
antriebstechnik 3/2016
antriebstechnik 3/2016
- TAGS
- antriebstechnik
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Auf der Kundenseite entstehen Vorteile aufgrund eines vereinfachten<br />
Ersatzteilmanagements und folglich durch eine gesteigerte<br />
Verfügbarkeit des Antriebssystems.<br />
Die Auswirkungen dieser Freiheitsgrade der Konzeptionsphase<br />
sind nur schwer allgemein zu quantifizieren und werden in der<br />
Praxis von unterschiedlichsten Faktoren abhängen. So werden<br />
beispielsweise bestehende Geschäftsbeziehungen sowie vorhandene<br />
Erfahrungen mit bestimmten Technologien einen Einfluss<br />
auf die Zusammenstellung der MMDS-Komponenten haben. Eine<br />
quantitative Aussage über die Auswirkungen auf die Kostenstruktur<br />
eines Antriebstechnikherstellers lässt sich nur anhand eines<br />
konkreten Anwendungsfalls treffen. Aus diesem Grund soll das<br />
obige Gedankenexperiment ausschließlich die Grundidee dieser<br />
Freiheitsgrade verdeutlichen. Im Folgenden wird der Fokus auf<br />
den Freiheitsgraden der Betriebsphase liegen.<br />
Während der Auslegung eines konventionellen SMDS wird durch<br />
die Berücksichtigung von Überlastfaktoren und Lastannahmen<br />
sichergestellt, dass das Antriebssystem das maximal zu erwartende<br />
Drehmoment oder die maximal zu erwartende Prozessleistung<br />
sicher generieren kann. Zusätzlich wird über Lastkollektive, thermisch-äquivalente<br />
und schädigungsäquivalente Drehmomente abgesichert,<br />
dass weder Getriebe noch Motor über ihre Grenzen hinaus<br />
belastet werden. Wird ein derartig ausgelegtes SMDS eingesetzt, so<br />
kann jeder sich während des leistungsvariablen Arbeitsprozesses<br />
einstellende Arbeitspunkt sicher realisiert werden.<br />
Wird für denselben Arbeitsprozess unter Berücksichtigung derselben<br />
Überlastfaktoren, Lastannahmen und äquivalenten Drehmomente<br />
ein MMDS ausgelegt, so ist ebenfalls sichergestellt, dass jeder<br />
Arbeitspunkt realisiert werden kann. Im Gegensatz zu einem SMDS<br />
muss in diesem Fall jedoch berücksichtigt werden, dass die Antriebsleistung<br />
des MMDS die Summe mindestens zweier Motorleistungen<br />
ist. Aufgrund dieser, aus der Struktur eines MMDS resultierenden<br />
Situation, liegt keine eindeutige Zuordnung mehr zwischen Arbeitsprozess-Arbeitspunkt<br />
und Motor-Arbeitspunkt vor (Bild 04).<br />
Der dargestellte Arbeitsprozess erfordert ein Drehmoment von<br />
50 Nm bei einer Drehzahl von 150 l/min. Aus Sicht des gesamten<br />
MMDS entspricht dieser Arbeitspunkt dem am Getriebe abtriebsseitig<br />
auftretenden Arbeitspunkt. Durch das Getriebe wird dieser<br />
auf den antriebsseitigen Arbeitspunkt mit 5 Nm Drehmoment und<br />
einer Drehzahl von 1 500 1/min transformiert. Für ein SMDS würde<br />
dieser Arbeitspunkt dem Motorarbeitspunkt entsprechen. Das<br />
MMDS besitzt jedoch zwei Motoren, sodass keine eindeutige Zuordnung<br />
zwischen dem Arbeitspunkt und den Motorarbeitspunkten<br />
besteht. Stattdessen liegt eine Lösungsmenge von Motorarbeitspunkten<br />
vor, die alle den Arbeitsprozess sicher erfüllen, solange für<br />
das betrachtete Beispiel die Nebenbedingung<br />
erfüllt ist. Somit liegt für diese Art von Antriebssystemen ein bei<br />
SMDS unbekannter Freiheitsgrad vor, der als Drehmomentverteilung<br />
bezeichnet wird.<br />
Eine weitere Fragestellung ergibt sich, sobald für die Realisierung<br />
des aktuell vorliegenden Arbeitspunktes nicht alle MMDS-<br />
Motoren benötigt werden. Der antriebsseitige Arbeitspunkt kann<br />
sowohl durch die alleinige Verwendung von Motor 1 (T 1<br />
= 8 Nm;<br />
Nenndrehmoment) als auch durch die alleinige Verwendung von<br />
Motor 2 (T 2<br />
= 5 Nm; Nenndrehmoment) realisiert werden. Die<br />
kombinierte Nutzung beider Motoren ist nicht zwingend erforderlich.<br />
Soll nur ein Motor genutzt werden, so kann der jeweils nicht<br />
benötigte Motor elektrisch abgeschaltet werden. Bei Verwendung<br />
von Asynchronmaschinen sind dabei unter der elektrischen Abschaltung<br />
die vollständige Entmagnetisierung des Motors sowie<br />
gegebenenfalls die Deaktivierung des dem Motor zugeordneten<br />
Wechselrichtermoduls zu verstehen. Durch diese Maßnahme können<br />
im Motor entstehende Verluste vermieden und die Auslastung<br />
der noch aktiv am Leistungsfluss beteiligten Komponenten erhöht<br />
werden. Sobald der Leistungs- bzw. der Drehmomentbedarf des<br />
Arbeitsprozesses wieder ansteigt, kann der zuvor abgeschaltete<br />
Motor erneut zugeschaltet werden. Diese Eigenschaft eines MMDS<br />
stellt einen weiteren Freiheitsgrad dar; die sogenannte elektrische<br />
Rekonfigurierbarkeit (Bild 05). Sie erlaubt die zur Verfügung gestellte<br />
Nennleistung dem zeitlichen Verlauf der Arbeitsprozessanforderungen<br />
anzupassen.<br />
Wann immer einer der Motoren eines MMDS elektrisch temporär<br />
abgeschaltet wird, wechselt er von einem treibenden in einen getriebenen<br />
Zustand und stellt in dem Antriebssystem somit eine passive<br />
Massenträgheit dar. Diese Situation kann erwünscht sein, sofern<br />
durch das Mitschleppen der Massenträgheit prozessbedingte Drehmomentstöße<br />
in dem Antriebssystem reduziert werden können<br />
oder der Rotor des Motors als kinetischer Energiespeicher genutzt<br />
werden soll. Die Situation kann allerdings auch unerwünscht sein,<br />
da der Rotor und der gesamte mechanische Antriebsstrang von der<br />
Motorwelle bis zu der Verzahnung mit dem Getriebesammelrad<br />
weiterhin mitlaufen und somit Verluste erzeugen, jedoch nicht zum<br />
Leistungsfluss beitragen. Durch eine geeignete Getriebekonstruktion<br />
oder die Verwendung schaltbarer Maschinenelemente kann in diesem<br />
Fall eine Entkopplung des mechanischen Teils des Antriebsstrangs<br />
von den am Leistungsfluss aktiv beteiligten Komponenten<br />
des Antriebssystems realisiert werden. Diese Eigenschaft eines<br />
MMDS stellt den dritten Freiheitsgrad dar; die sogenannte mechanische<br />
Rekonfigurierbarkeit (Bild 05).<br />
Die während des Betriebs eines MMDS relevanten Freiheitsgrade<br />
n der Drehmomentverteilung<br />
n der elektrischen Rekonfigurierbarkeit und<br />
n der mechanischen Rekonfigurierbarkeit<br />
stellen eine Erweiterung der Nutzungsmöglichkeiten eines<br />
MMDS gegenüber einem SMDS dar. Sie ermöglichen es, das Betriebsverhalten<br />
eines MMDS gezielt einzustellen. Ziel der Forschungsaktivitäten<br />
am KAt ist es, sich hieraus ergebende Anwendungspotentiale<br />
nutzbar zu machen und Anwendungsgrenzen zu<br />
identifizieren. Obwohl MMDS seit langem bekannt sind und vielfach<br />
industriell genutzt werden, werden die beschriebenen Freiheitsgrade<br />
während des Betriebs in der Regel nicht genutzt. Bisherige<br />
Forschungsarbeiten konzentrierten sich vor allem auf die<br />
Synchronisation der Motordrehmomente oder die Gleichlaufregelung<br />
der Motoren [JBM06; Jos14; Odn15]. Es sind nur vereinzelte<br />
Ansätze bekannt, die die beschriebenen Freiheitsgrade einzeln<br />
oder in Kombination nutzen [Ber15; BTS15; TLH14]. Industrielle<br />
Anwendungen, in denen Asynchronmaschinen und eine Kombination<br />
von asymmetrischer Drehmomentverteilung, elektrischer<br />
und mechanischer Rekonfigurierbarkeit zum Einsatz kommen,<br />
sind allgemein nicht bekannt.<br />
Vorteile durch eine gezielte Nutzung der systeminhärenten<br />
Freiheitsgrade<br />
Durch eine gezielte Nutzung der inhärenten Freiheitsgrade bieten<br />
MMDS einen großen Spielraum, um das Betriebsverhalten optimal an<br />
die Anforderungen des Anwenders anzupassen. Das Optimum wird<br />
dabei durch die Einhaltung eines Optimalitätskriteriums bestimmt,<br />
dass durch den Anwender selbst definiert werden muss. Beispielsweise<br />
bieten MMDS die Möglichkeit, einzelne Antriebsstränge – von dem<br />
Einspeise-Gleichrichtermodul bis zu der Verzahnung des Getriebesammelrads<br />
– gezielt auszulasten und somit die Lebensdauer des Antriebssystems<br />
positiv zu beeinflussen. Eine andere Möglichkeit besteht<br />
in der Abbildung kalter, warmer oder heißer Redundanzen und der<br />
damit verbundenen Steigerung der Ausfallsicherheit.<br />
86 antriebstechnik 3/<strong>2016</strong>